Die Homezone in der Zukunfts-Stadt oder: „There will always be Eintopf!“
von trampelfant am 7. Oktober 2009 veröffentlicht in TheaterIn dem von Katja Fillmann inszenierten Stück „Homezone“, das das Deutsche Theater zur Zeit in einem alten Pathologie-Hörsaal der Göttinger Uni zeigt, geht es um Studierende. Dies sind ja spätestens seit den letzten und immer noch um sich schlagenden Unistruktur-Reformen mehr und mehr bemitleidenswerte Gestalten. Und eben deren Lebensalltag zu erforschen machen sich in „Homezone“ die beiden Protagonist*Innen und zugleich einzigen am Stück beteiligten Schauspieler*Innen Anja Schreiber und Karl Miller zur Aufgabe – und verknüpfen dabei geschickt Kritik mit Humor.
Foto: Isabel Winarsch / DT
Eigens, um sich dem Forschungsfeld Studierende anzunähern, gründen die Schauspieler*Innen einen Studiengang, die „Akademie der Dilettanten“. Deren (Feld-)Forschungsergebnisse werden nun an Ort und Stelle in einem Hörsaal in einer „Lecture Performance“ präsentiert. Aufgelockert wird die mal dramatische, mal lustige Präsentation immer wieder durch kleine Filme, die das Leben der Göttinger Studierenden dokumentieren. Dass das Stück über den Niedergang der freien Bildung in großen Teilen auf und neben einem original Seziertisch spielt, auf dem schon zahllose Leichen betrachtet worden sein dürften, entbehrt dabei nicht einer gewissen Ironie.
Ob frisch gewichste Stehkragen-Juristen, Sinologie-Einführungskurs, Agrarwissenschaftsstudierende, deren Karomuster auf dem wohlgebügelten Hemd angeblich etwas über die Hektargröße des elterlichen Besitzes verrät – bei „Homezone“ bekommt so gut wie jede Fachrichtung ihr Fett weg. Die neue Zentralmensa wird mit der Erkenntnis verlassen, dass „there will always be Eintopf.“ Erste musikalische Gehversuche des Karl Miller – etwa mit dem zarten Klang einer vollgesabberten Posaune – werden unter Soft Skills verbucht und gnadenlos abgeprüft. Skills sind ohnehin das große Thema in diesem Stück, gleich hinter dem Leistungsdruck. Symbolisiert durch das elektronische Prüfungssystem FlexNow nimmt dieser den meisten Raum ein. „Gebt mir Credits!“, raunzt das vom Darsteller selbst hergestellte FlexNow-Monster und ist dabei amüsant und nicht, wie zu befürchten war, albern.
Angenehm peinlich berührt fühlt man sich doch, betrachtet man sich selbst und vor allem: einen Großteil des bluffenden Kommiliton*Innen-Mobs vor dem eigenen geistigen Auge. Wenn die beiden Schauspieler*Innen etwa in rhythmischer Imitation zahlreiche Facetten des breiten Spektrums studentisch-lethargischer Lern-, Bluff- und Prokrastinationsweisen bündeln, enthüllen, auf die Spitze treiben und verfremden, dürfte der eine oder die andere sich selbst oder Mitstudierende wieder erkennen.
Wo liegt heute – so wird sich gefragt – das „utopische Moment“ im Studierendendasein? Die Frage bleibt unbeantwortet. Die aktuellen Entwicklungen aufhalten? „Wer hat denn die Studiengebühren verhindert?“ fragt die Flexnowstrippenziehende Figur aus dem Off rhetorisch, sodass sich auch Anja Schreiber eingestehen muss: Eigentlich keine Ahnung, wie das gehen soll. Insofern werden die das Stück betrachtenden Studierenden nicht unbedingt mit Optimismus aus dem Hörsaal entlassen. Wohl aber mit einem Lächeln auf dem Gesicht und dem zufriedenen Gefühl im Bauch, das System zu recht Scheiße zu finden. Der Rest ist wie so oft, was ihr draus macht.
Stadt in Zukunft
„Homezone“ ist die erste DT-Produktion der Reihe Stadt in Zukunft. Architekturen und soziale Räume, die noch bis zum Juni 2010 fortdauert. Dabei haben die Macher*innen stets ein hehres Ziel vor Augen: das Finden von „kleinen oder auch großen Schritten für eine bessere Zukunft“. Getrieben vom sozialen Wandel und der damit verbundenen Transformation des Raumes wird die Frage gestellt, wie die Einwohner*innen Göttingens an der Gestaltung „ihrer“ Stadt mitwirken können. Wie soziale Räume geschaffen oder wiederbelebt werden können, treibt die „Stadt in Zukunft“ weiter an.
Getragen wird sie dabei von einem umgebauten LKW-Anhänger, der kurzer Hand zum temporären, mobilen Veranstaltungs- und Arbeitsraum umfunktioniert wird. Derzeit steht der rote Container auf seinen Stelzen auf dem Unicampus, je nach Bedarf wird er Ort und Funktion ändern – und auch gerne mal die einer Bar annehmen. Auch die thematischen Felder, die das DT mit diesem Vehikel befahren will, sind wandelbar. Geht es in „Homezone“ zunächst um das studentische Leben, wird es in Zukunft um das Wohnen in Göttingens Stadtteilen gehen oder auch darum, wie Kinder und Jugendliche heute leben wollen. Das klingt alles sehr wohlwollend und hat, nimmt das DT hier den Mund nicht zu voll, wirklich Potential. Zwiefelsohne vollmundig wird ein Interesse für das proklamiert, „was über den neuesten Stand der Technik hinaus geht: neue Konzepte, Denkweisen, Strategien, die vielleicht die Lebensbereiche ändern.“
Die weiteren Projekte der Zukunfts-Stadt gehen über das Format des nackten Theaters hinaus. In neun Monaten gibt es Workshops, Hörspiele, Kinderlesungen und eine Schreibwerkstatt. Die mobile Bühne wandert jeden Monat an einen anderen Ort: vom Campus über Grone zum Theatervorplatz. Dann nach Geismar, ins Ostviertel und nach Bovenden.
„Homezone“ läuft am 8., 9., 13., 14., 15., & 27. Oktober. Treffpunkt ist jeweils um 20 Uhr am Container auf dem Unicampus
Text: Trampelfant & Rakete
Sehr gutes Stück, sehr gute Schauspieler, sollte mensch hingehen!
Die für morgen, Freitag, 9. Oktober 2009 angekündigte Vorstellung HOMEZONE in der Universität Göttingen entfällt!
Bereits gekaufte Karten können an der Theaterkasse (oder an der Abendkasse in der mobilen Bühne) zurückgegeben oder umgetauscht werden.
(Infos an der Theaterkasse unter Tel. 0551-49 69 11)
Das DT meldet: Aufgrund des großen Erfolgs und der Publikumsnachfrage wird HOMEZONE, die erste Produktion des DT-Spielzeitprojekts STADT IN ZUKUNFT, die bis 27. Oktober 2009 in der Alten Pathologie der Universität Göttingen zu sehen war, ins DT übernommen: Während STADT IN ZUKUNFT mit der mobilen Bühne im November den Universitäts-Campus verlässt und nach Grone umzieht, wird HOMEZONE am Dienstag, 3. November 2009, um 20 Uhr erstmalig im Keller des DT gezeigt. Die nächste Vorstellung dort folgt am 1. Dezember 2009.