Göttingen ist nicht Rostock II: Aktivistinneninterview
von Rakete am 3. Juni 2007 veröffentlicht in G8 HeiligendammIn Rostock fand am gestrigen Samstag die Auftaktdemonstration zu den mehrtägigen Protesten gegen den G8 Gipfel in Heiligendamm statt. Nach einer großen, friedlichen Demonstration kam es am Platz der Abschlußkundgebung zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und DemonstrationsteilnehmerInnen, welche von Presse und Politik nun für eine öffentlichkeitswirksame Spaltung in gute, friedliche und böse, gewalttätige Demonstrierende genutzt wird. Wir sprachen mit der Göttinger Aktivistin Barbara Heisterkamp, die uns ihre Sicht der Geschehnisse in Rostock schilderte.
Hallo Barbara. Du warst gestern unter den Menschen, die aus Göttingen mit den vom DGB organisierten Bussen nach Rostock zur Auftaktdemo gegen den G8 Gipfel gefahren sind. Warum hast du dich an der Demonstration beteiligt?
Für mich hat der Protest gegen die G8 einen symbolischen Charakter, das Problem sind nicht die Personen, die sich dort treffen, sie sind lediglich Repräsentanten des Weltwirtschaftssystems, welches nach meiner Auffassung für die ungerechte Verteilung auf dem Globus verantwortlich ist. Die G8 repräsentieren nur einen sehr kleinen Teil der Weltbevölkerung und legitimieren sich ausschließlich über Finanzmittel damit verbundene wirtschaftliche Macht. Eine demokratische Legitimierung gibt es nicht. Trotzdem ist mir direkter Protest sehr wichtig, da es nur dadurch möglich wird, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen und auf die Probleme aufmerksam zu machen. Außerdem bieten solche Proteste auch immer die Möglichkeit, sich international über Erfahrungen und Konzepte auszutauschen sowie neue Konzepte zu erarbeiten. Es ist es mir auch immer wieder wichtig, über den Tellerrand ins Ausland zu schauen, um zu sehen, wie dort Probleme diskutiert werden. Sektiererei ist das schlimmste, was einem politisch passieren kann…
Was waren die ersten Eindrücke, die du in Rostock sammeln konntest?
Also, zunächst waren wir alle recht überrascht, dass wir ohne Komplikationen so einfach zum Ort der Auftaktkundgebungen durchgekommen sind. Es gab weder Vorkontrollen der Busse, noch zwischen den Parkplätzen und dem Treffpunkt. Auch um den Platz herum hielten sich sehr wenig Polizisten auf. Meine Befürchtungen, die Polizei würde gleich von Anfang an eine repressive Linie durchsetzen wollen, hatten sich glücklicherweise nicht bestätigt. Als wir ankamen, war der Platz schon ziemlich gefüllt und die allgemeine Stimmung gut. Die Demonstration war das, was ich mir erwartet hatte, eine große, bunte solidarische Versammlung verschiedenster Gruppen des Linken Spektrums.
Zu der Demonstration hat ein breites Bündnis von Gewerkschaften bis hin zu linksradikalen Gruppen mobilisiert. Wie muss man sich die Demo vorstellen, war es eine bunte Mischung, gab es verschiedene Blöcke und wie waren die Mengenverhältnisse?
Wie auf jeder größeren linken Demonstration mit Bündnischarakter gab es hier natürlich auch eine Vielzahl von verschiedenen Blöcken. Das ging von trommelnden Sambatänzern über verschiedene Gewerkschafts- und Parteiblöcke bis zu einem Hedonistenblock und dem Block der Interventionistischen Linken.. Über Mengenverhältnisse kann ich wenig aussagen, bei einer Demonstration in dieser Größenordnung ist es sehr schwer, genaue Zahlen zu nennen. Es war aber so, dass der hintere Teil der Demonstration noch fast am Beginn der Strecke ging, als die Spitze bereits den Platz der Abschlusskundgebung am Hafen erreicht hatte.
Die Polizei hatte im Vorfeld eine Deeskalationsstrategie angekündigt. Wie war diesbezüglich deine Wahrnehmung bis zu dem Zeitpunkt vor den Ausschreitungen? Gab es Vorkontrollen, wurden Leute vielleicht gar nicht zur Demo gelassen und wie trat die Polizei während der Demonstration auf?
Wie schon gesagt, Vorkontrollen unserer Busse gab es nicht, auch auf dem Weg zur Kundgebung wurden wir nicht kontrolliert. Die ersten Polizisten in Kampfmontur habe ich wahrgenommen, als wir mit der Demonstration an einem großen Bankgebäude und dem Radisson-Hotel, in dem die amerikanische Delegation untergebracht ist, vorbeigekommen sind. Bis zum Schluss gab es keine direkte Begleitung der Demonstration durch die Polizei, man hat nur versucht, sogenannte „gefährdete Objekte“ zu schützen. Bis auf ein Paar vereinzelte Wurfgeschosse auf die Bankgebäude ist auch alles ruhig geblieben, Stress gab es erst auf dem Platz der Abschlusskundgebung am Hafen ab dem Zeitpunkt, an dem die Polizei massiert aufgetreten ist…
Auf dem Platz der Abschlusskundgebung, wo auch noch Konzerte statt fanden, kam es dann zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Die Mainstreammedien sprechen von „Chaoten“, Spiegel online z.B. stellte fest, dass die Gewalt eindeutig von Seiten „der Autonomen“ ausginge. Hast du mitbekommen, wie es zu den Ausschreitungen kam?
Wie es genau losgegangen ist, habe ich nicht mitbekommen. Wir sind darauf aufmerksam geworden, weil plötzlich Trupps der Polizei knüppelnd über den Platz gestürmt sind. Was vorher abgegangen ist, kann ich nicht sagen. Von anderen Leuten habe ich verschiedene Sachen gehört. Einige sagten, auf dem Platz habe ein einzelnes Polizeiauto gestanden, welches von Vermummten dann angegriffen worden sei, andere meinten, die Polizei habe den „Make Capitalism History“ – Block provoziert oder angegriffen. So oder so, nach meiner Einschätzung hat die Polizei mit ihrem plötzlichen, überzogenen Eingreifen die Lage zur Eskalation gebracht. Gerade weil die Demonstration vorher ohne Polizeibegleitung –oder gerade deshalb, so friedlich verlaufen ist, war mir diese Änderung der Taktik der Polizei unverständlich. Ich will hier natürlich nicht für jeden einzelnen Demonstranten meine Hand ins Feuer legen -ein Paar Idioten gibt es immer, mit erschien das Verhalten der Polizei auf dem Platz aber von Anfang an der Entwicklung der Lage nicht angemessen.
Wenn wir das richtig mitbekommen haben, hat die Polizei den Platz vor der Konzertbühne mit Wasserwerfern angegriffen. Gab es dafür konkrete Anlässe und hattest du den Eindruck, dass die Polizei sich auf potentielle Gewalttäter konzentrierte oder wurde da pauschal eine bunte Demo platt gemacht?
Als die ersten Wasserwerfer am Hafen ankamen, haben wir uns auf den Rückweg zu den Bussen gemacht. Zu diesem Zeitpunkt hatte die ganze Situation schon eine sehr starke Eigendynamik entwickelt. Überall flogen Steine, am Rand des Platzes brannte ein Auto. Die Polizei verschoss Tränengasgranaten und knüppelte sich durch die Menge. Nach meiner Einschätzung hatte die Polizeileitung zu diesem Zeitpunkt komplett die Übersicht über den Einsatz verloren, in sofern kann ich mir auch nicht vorstellen, dass man da gezielt militante Demonstranten angegriffen hat, dass hat die Polizei ja schon vor der krassen Eskalation nicht getan. „Potentielle Gewalttäter“ sind für die Polizei zu diesem Zeitpunkt schon alle Menschen, die sich überhaupt auf dem Platz befunden haben, gewesen…
Die Busse sind ja abends zurück nach Göttingen gefahren. Gab es „Vermisste“, die vielleicht festgenommen wurden und wie war die Stimmung auf der Rückfahrt?
Soweit ich das mitbekommen habe, sind alle, die wieder mit zurückfahren wollten, auch heil wieder zum Bus gekommen. Ein Teil der Leute wollte aber ohnehin dort bleiben und in einem der Camps übernachten. Außer den Beeinträchtigungen durch das Tränengas wurde nach meiner Einschätzung niemand von uns verletzt.
Hattest du nach diesem Tag das Gefühl, etwas Sinnvolles getan und vielleicht sogar etwas verändert zu haben?
Sinnvoll war die Teilnahme an der Demonstration auf jeden Fall, etwas verändert zu haben, das halte ich für etwas übertrieben. Demonstrationen sind ein gutes Mittel, um seine Meinung in die Öffentlichkeit zu tragen, gerade, wenn die Mainstream-Medien dies nicht tun. Wie viele Menschen im Endeffekt teilgenommen haben, weiß ich nicht, aber es war auf jeden Fall eine sehr große Demonstration. Ich fand es etwas schade, dass die Gewalt so krass ausgeartet ist. Mal ganz davon abgesehen, wie es dazu gekommen ist, die Mainstream-Medien berichten nur über die Straßenschlacht und können weiter so tun, als ob es uns sowieso nur um die Gewalt ginge und Inhalte in Wirklichkeit sowieso keine Rolle spielten. Da wird es dann schwierig, der Masse der Menschen zu verkaufen, dass WIR die Guten sind. Ich hätte mir da auch von unserer Seite ein wenig mehr Beherrschtheit gewünscht, einerseits der Sache wegen, andererseits auch wegen der konkreten Gefährdung durch das unkontrollierte Werfen von Gegenständen. Eine Menge Leute sind durch Steinwürfe aus den eigenen Reihen verletzt worden.
Vielen Dank für das Gespräch.