Übergriff auf Taxifahrer

Demo gegen Alltagsrassismus
von am 8. Juli 2012 veröffentlicht in featured, Soziale Bewegungen, Titelstory

Am Samstag versammelten sich gegen 13 Uhr etwa 500 Menschen auf dem Bahnhofsvorplatz, um gegen alltägliche rassistische Missstände zu demonstrieren. Der Anlass war ein rassistisch motivierter Übergriff im vergangenen Juni, auf einen Fahrer des Taxiunternehmens puk minicar, der dabei schwere Körperverletzungen erlitt und seitdem arbeitsunfähig ist.

Während sich die Demonstrierenden gegen Mittag allmählich versammelten, war der Bahnhofsvorplatz von strahlendem Sonnenschein erfüllt. Der Anlass der Demonstration war jedoch kein sonniger: Im Juni wurde ein puk minicar Fahrer von einem Rassisten angegriffen. Seitdem ist der Fahrer arbeitsunfähig.

Ein breites Bündnis aus Parteien, Gewerkschaften und anderen, vor allem antifaschistischen Gruppen hatten dazu aufgerufen, gegen einen rassistischen Alltag zu demonstrieren. Dieser sei der Nährboden für körperliche Angriffe. Die etwa 500 Demonstrierenden starteten mit einer knappen Stunde Verspätung vom Bahnhofsvorplatz in Richtung Hiroshimaplatz und setzte sich aus Füßgänger_innen und einer Auto- und Motorradkolonne zusammen. Am Neuen Rathaus spaltete sich die Gruppe auf in eine Fußgänger_innendemo durch die Innenstadt und eine Autodemo in Richtung Geismar zu dem Ort, an dem der Übergriff stattfand.


Demozug auf der Bürgerstraße

Kritik gab es auch an der Medienberichterstattung: Das Göttinger Tageblatt berichtete bereits am 30.06. über diesen Vorfall und beschrieb den Täter als „rechten Schläger“ und „bereits allgemein polizeilich bekannt“. Ebenso wurde betont, dass der Fahrer „als Ausländer erkennbar war“ und „der Auslöser des Streits noch unklar ist“. „Aus unserer Pressemitteilung geht klar hervor, dass es sich für unsere Mitarbeiter_innen eindeutig um Rassismus handelt, mit dem diese täglich zu kämpfen haben, denn leider machen diese auf der Straße nicht selten die Erfahrung, dass rassistische Ressentiments zu Beleidigungen oder Anfeindungen führen. Das Maß ist erst recht voll, wenn Körperverletzungen die Folge sind“, so Jan Bethge von puk minicar.

Dieser Vorfall ist einer von vielen dieser Art. Erst im Mai vergangenen Jahres ereignete sich ein Brandanschlag auf einen kurdischen Gemüsehandel in Northeim, sowie ein weiterer auf einen Afro-Shop im Jahre 2008. Dazu kommt ein rechts motivierter Übergriff im Maschmühlenweg im April letzten Jahres . Der Vorwurf, dass in diesen Fällen die Polizei die rassistische Motivation vertuscht, bzw. aktiv ausgeblendet habe, um eine öffentliche Aufarbeitung zu verhindern, ist dem Aufruf des Bündnisses zu entnehmen.


Ein Taxi von puk minicar

Die zahlreichen Redebeiträge der Demonstration zeigten auf, in welchem Ausmaß Rassismus sich im Alltag widerspiegelt: Am Arbeitsplatz, in Schulen und Behörden, sowie mitten auf der Straße. Die Redner_innen betonten, dass verbale und körperliche Übergriffe nicht nur von Mitgliedern der rechten Szene begangen werden. Vor allem sei die bürgerliche Mitte stark von rassistischen Ressentiments durchzogen und biete damit den Nährboden für gewalttätige Übergriffe. Ebenso sei der Täter im Fall des Übergriffs auf den puk minicar Fahrer nicht eindeutig dem rechtsradikalen Spektrum zuzuordnen.

Auch auf der Demonstration konnte man Zeuge von Rassismus werden: Einige Polizist_innen machten sich während eines Redebeitrages über den Akzent des Redners lustig. Umstehende Demonstrierende waren fassungslos über die fehlende Sensibilität seitens der Polizei, die die Thematik scheinbar teilweise als lächerlich empfand. „Wir leben in einem Land, das sich auf einem institutionellen Rassismus begründet!“, sagte passend dazu der Linken-Landtagsabgeordnete Patrick Humke in seinem Redebeitrag. „Und das ist das eigentliche Perverse – ermutigt es doch Rechte und Menschen aus der Mitte der Gesellschaft ihren Rassismus auszuleben!“


Das Fronttransparent der Demonstration

Das Wetter machte zum Ende einen feinfühligeren Eindruck und passte sich durch plötzlichen Regen der Stimmung an, als die Fußgänger_innendemo den Endtreffpunkt am Albaniplatz als erste erreichte. Hier wurde sie bereits von der Soliküche mit einer warmen Mahlzeit erwartet. Nach einer kurzen Stärkung traf dann auch hupend die Autokolonne zur Abschlusskundgebung ein. Im Anschluss erklärte Bethge die Demonstration zu einem Erfolg: „Wir sind zufrieden mit der Demo und freuen uns über die zahlreiche Unterstützung der Teilnehmer_innen und des Bündnisses, jedoch bedauern wir sehr, dass keine anderen Taxiunternehmen teilgenommen haben, da diese von den Problemen genauso betroffen sind wie wir.“ Diese wurden im Vorfeld über die Demonstration in Kenntnis gesetzt und gebeten dem Aufruf zu folgen. Nach der Endkundgebung wurde die Demonstration ohne Zwischenfälle aufgelöst.

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2 Kommentare auf "Demo gegen Alltagsrassismus"

  1. alter falter sagt:

    Kundgebung am Montag, den 06.08., 14 Uhr Neues Rathaus: gegen Abschiebepolitik und Abschiebeknäste! Jetmir K. soll am Dienstag in den Kosovo abgeschoben werden. Er sitzt seit seiner Verhaftung vor einer Woche bei einem Termin auf der Göttinger Ausländerbehörde im Abschiebegefängnis am Flughafen Hannover-Langenhagen. Die Presseerklärung vom Ak Asyl vom 05.08.12:
    Der Göttinger Jetmir K. soll am 07. August ins Kosovo abgeschoben werden
    Jetmir K. ist 21 Jahre alt. Seit seinem 4. Lebensmonat lebt er mit seiner Familie in Deutschland.
    Seit dem 31. Juli 2012 sitzt er im Abschiebegefängnis in Hannover Langenhagen und soll nach dem Willen der Behörden am kommenden Dienstag, den 07.August, nach Pristina in Kosovo abgeschoben werden. Er kämpft mit seinem Anwalt weiterhin juristisch dagegen an, dass ihm ein Bleiberecht in Deutschland und seine Anerkennung als „defacto-Inländer“ verwehrt wird. Nach einer gerichtlichen Niederlage am 01.08.2012 hat der Anwalt erneut vor dem Verwaltungsgericht Göttingen gegen die Vollstreckung der Abschiebung Klage eingereicht.
    Bereits im Juni 2010 sollte Jetmir gemeinsam mit einem Teil seiner Familie nach Kosovo abgeschoben werden. Zusammen mit seinemBruder flüchtete er sich damals in ein
    Wanderkirchenasyl, das von verschiedenen Kirchengemeinden und einem breiten Unterstützer_innenkreis getragen wurde. Dieser Fall des Widerstandes gegen die
    unmenschliche Abschiebepolitik erlangte große Aufmerksamkeit in Göttingen wie auch bei überregionalen Medien. Nach vier Monaten des fortgesetzten Hoffens und Bangens im Kirchenasyl war es ihm möglich, seinen Schulbesuch fortzusetzen.
    Anschließend bemühte er sich darum, seinen Lebensunterhalt selbstständig zu verdienen. Obwohl er beinahe sein ganzes Leben in Deutschland den größten Teil davon in Göttingen verbracht hat, betrieben die Behörden weiterhin seine Abschiebung in ein Land mit dem ihn, außer der Herkunft seiner Eltern, nichts verbindet. Diese waren 1990 aus dem damals noch bestehenden Jugoslawien nach Deutschland geflohen. Seine Eltern mussten sich und ihre kleinen Kinder vor Krieg und rassistischer Verfolgung in Sicherheit bringen wie tausende andere Roma und Romni auch. Seither ist der Alltag der Familie immer wieder geprägt durch die
    ständige Furcht vor einer Abschiebung, mit der die Ausländerbehörden sie ständig bedrohte. Dieser Druck und die fortgesetzte rassistische Ausgrenzung, auch seitens der deutschen Mehrheitsgesellschaft, bewirkten bei den Familienangehörigen ein kaum vorstellbares Ausmaß von seelischem Leid. Zusätzlich waren sie stets den
    Beschränkungen des Ausländerrechts unterworfen. Deshalb ist es besonders zynisch, wenn eine angeblich fehlende Integration in die hiesige Gesellschaft Jetmir seitens der Behörden zum Vorwurf gemacht wird und immer wieder als Begründung des Abschiebewillens herhalten muss.
    Jetmir ist Teil dieser Gesellschaft, ob er nun offiziell die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt oder nicht. Ihn in das Kosovo abschieben zu wollen, ist Ausdruck einer letztlich rassistisch motivierten Politik im Umgang mit Roma und Romni.
    Die angeblich fehlende Integrationsbereitschaft, die vielen immer wieder unterstellt wird, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als ein ausgeklügeltes System von Ausgrenzungen. Mit dieser Politik der sozialen Kälte werden selbst die jüngsten der Kinder immer wieder konfrontiert und müssen sich in diesem rassistischen Klima orientieren und irgendwie behaupten lernen. Bildungskarrieren verlaufen wie bei Jetmir
    deswegen oft auch abweichend von Idealvorstellungen. Das ist bei Kindern mit deutschem Pass, die sozial benachteiligt werden, leider oftmals nicht anders.
    Jetmir deswegen für „nicht zugehörig“ zu erklären, ist Ausdruck einergesellschaftlichen Haltung, die einzig und allein die vermeintliche Leistungsfähigkeit zum Dreh- und Angelpunkt dafür macht, ob einem Menschen menschenwürdige Lebensbedingungen zugebilligt werden oder nicht.
    Jetmir ist für die Unterstützung seiner schwer erkrankten Eltern ein extrem wichtiger Stützpfeiler. Die Eltern sind im Gegensatz zu Jetmir der deutschen Sprache kaum mächtig und bereits deswegen auf seine Hilfe angewiesen. Außerdem übernimmt er
    auf Grund der gesundheitlichen Beeinträchtigungen seiner Eltern auch für seinen 15jährigen Bruder H. eine stützende Funktion. So ist die geplante Abschiebung Jetmirs ein unverantwortlicher Akt behördlicher Barbarei!
    Bis heute werden Roma und Romni europaweit gesellschaftlich ausgegrenzt. Die deutsche Gesellschaft verweigert sich großteils der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte. So wird hier kaum wahrgenommen, dass während der NS-Herrschaft von den Deutschen europaweit ca. eine halbe Million Roma/Romni sowie Sinti/Sintezze gezielt ermordet wurden. Dieses Menschheitsverbrechen trägt in der Überlieferung der Roma den Namen „Porrajmos“ („das Verschlingen“). Ca. 400 Roma und Romni sind in Stadt und Landkreis Göttingen seit vielen Jahren immer wieder akut von einer Abschiebung bedroht. Ihnen drohen sowohl im Kosovo, wie auch in Serbien oder Montenegro eine Landung im wirtschaftlichen Elend. Sie werden dort aufgrund ihrer Minderheitenzugehörigkeit nicht nur noch schärfer ausgegrenzt als
    in Deutschland, sondern zum Teil auch körperlich bedroht oder angegriffen. Die Politik, Roma in Lagern zu ghettoisieren, zeigt vielerorts ein noch schlimmeres Gesicht als hierzulande.
    Jetmirs Abschiebung in dieses Nichts ist durch Nichts zu rechtfertigen. Die Sprache seiner Eltern spricht er nur gebrochen, da er in Deutschland aufgewachsen ist. In Kosovo hat er keine Verwandten, bei denen er eine Bleibe finden könnte, denn diese sind entweder tot oder in die anderen Fluchtländer verstreut. Da selbst die Behörden mittlerweile davon ausgehen, dass Jetmir sich bei der Abschiebung etwas antun
    könnte, ist für den Flug am 07. August eine sogenannte „Begleitung“ vorgesehen. Das bedeutet, dass ihm jemand zur Seite gestellt wird, der aufpassen soll, dass Jetmir das Abschiebeziel lebendig erreicht.
    Abgesehen von einer Übergabe an die Behörden im Kosovo ist das Schicksal von Jetmir den deutschen Behörden dann völlig gleichgültig. Wenn er nach der Abschiebung dann versuchen sollte, jemals nach Deutschland, das er als seine Heimat ansieht, zurückzukehren, müsste er zunächst die Kosten für die Abschiebehaft, den Abschiebeflug, die „Begleitung“ und sämtliche Gerichtsverfahren vollständig bezahlen. Nach erfolgter Zahlung läge es im Ermessen der Göttinger Ausländerbehörde, wie viele Jahre er im Kosovo warten müsste, bevor er jemals wieder legal einen Fuß auf „deutschen Boden“ oder auch einen anderen „Schengen-Staat“ setzen dürfte. Da Roma/Romni in Kosovo aber praktisch keine Arbeits- und
    Verdienstmöglichkeiten bekommen, sind die Abgeschobenen weitgehend auf die Überweisungen ihrer noch nicht abgeschobenen Verwandten angewiesen, die selber nicht genügend Geld zum Leben haben.
    Der AK Asyl ruft angesichts dieses erneuten Falles unmenschlicher Abschiebepolitik dazu alle Göttinger_innen dazu auf, sich gegen diese Politik der Ausgrenzung gemeinsam und solidarisch zur Wehr zu setzen. Es wird zu diesem Anlass am kommenden Montag, den 06. August 2012, um 14.00 Uhr eine
    Protestkundgebung vor dem Neuen Rathaus am Hiroshimaplatz in Göttingen geben. Dort wird es auch für unmittelbar von rassistischer Ausgrenzung betroffene Menschen die Gelegenheit geben, ihre Stimme über ein „offenes Mikrophon“ in die Öffentlichkeit zu tragen. Der AK Asyl fordert die zuständigen Behörden zur sofortigen Freilassung von Jetmir K. aus der Abschiebehaft auf und ihm und seiner Familie endlich das
    dauerhafte Bleiberecht zuzusprechen!
    Der AK Asyl fordert, die Unantastbarkeit der Würde aller Menschen endlich ernst zu nehmen!

  2. alter falter sagt:

    Kundgebung am Montag, den 06.08., 14 Uhr Neues Rathaus: gegen Abschiebepolitik und Abschiebeknäste! Jetmir K. soll am Dienstag in den Kosovo abgeschoben werden.
    Er sitzt seit seiner Verhaftung vor einer Woche bei einem Termin auf der Göttinger Ausländerbehörde im Abschiebegefängnis am Flughafen Hannover-Langenhagen.
    Diese Ergänzung wurde eben vom MOG-System zurückgewiesen, weshlab ich sie nochmal poste.
    Die Presseerklärung vom Ak Asyl vom 05.08.12:
    Der Göttinger Jetmir K. soll am 07. August ins Kosovo abgeschoben werden
    Jetmir K. ist 21 Jahre alt. Seit seinem 4. Lebensmonat lebt er mit seiner Familie in Deutschland.
    Seit dem 31. Juli 2012 sitzt er im Abschiebegefängnis in Hannover Langenhagen und soll nach dem Willen der Behörden am kommenden Dienstag, den 07.August, nach Pristina in Kosovo abgeschoben werden. Er kämpft mit seinem Anwalt weiterhin juristisch dagegen an, dass ihm ein Bleiberecht in Deutschland und seine Anerkennung als „defacto-Inländer“ verwehrt wird. Nach einer gerichtlichen Niederlage am 01.08.2012 hat der Anwalt erneut vor dem Verwaltungsgericht Göttingen gegen die Vollstreckung der Abschiebung Klage eingereicht.
    Bereits im Juni 2010 sollte Jetmir gemeinsam mit einem Teil seiner Familie nach Kosovo abgeschoben werden. Zusammen mit seinemBruder flüchtete er sich damals in ein
    Wanderkirchenasyl, das von verschiedenen Kirchengemeinden und einem breiten Unterstützer_innenkreis getragen wurde. Dieser Fall des Widerstandes gegen die
    unmenschliche Abschiebepolitik erlangte große Aufmerksamkeit in Göttingen wie auch bei überregionalen Medien. Nach vier Monaten des fortgesetzten Hoffens und Bangens im Kirchenasyl war es ihm möglich, seinen Schulbesuch fortzusetzen.
    Anschließend bemühte er sich darum, seinen Lebensunterhalt selbstständig zu verdienen. Obwohl er beinahe sein ganzes Leben in Deutschland den größten Teil davon in Göttingen verbracht hat, betrieben die Behörden weiterhin seine Abschiebung in ein Land mit dem ihn, außer der Herkunft seiner Eltern, nichts verbindet. Diese waren 1990 aus dem damals noch bestehenden Jugoslawien nach Deutschland geflohen. Seine Eltern mussten sich und ihre kleinen Kinder vor Krieg und rassistischer Verfolgung in Sicherheit bringen wie tausende andere Roma und Romni auch. Seither ist der Alltag der Familie immer wieder geprägt durch die
    ständige Furcht vor einer Abschiebung, mit der die Ausländerbehörden sie ständig bedrohte. Dieser Druck und die fortgesetzte rassistische Ausgrenzung, auch seitens der deutschen Mehrheitsgesellschaft, bewirkten bei den Familienangehörigen ein kaum vorstellbares Ausmaß von seelischem Leid. Zusätzlich waren sie stets den
    Beschränkungen des Ausländerrechts unterworfen. Deshalb ist es besonders zynisch, wenn eine angeblich fehlende Integration in die hiesige Gesellschaft Jetmir seitens der Behörden zum Vorwurf gemacht wird und immer wieder als Begründung des Abschiebewillens herhalten muss.
    Jetmir ist Teil dieser Gesellschaft, ob er nun offiziell die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt oder nicht. Ihn in das Kosovo abschieben zu wollen, ist Ausdruck einer letztlich rassistisch motivierten Politik im Umgang mit Roma und Romni.
    Die angeblich fehlende Integrationsbereitschaft, die vielen immer wieder unterstellt wird, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als ein ausgeklügeltes System von Ausgrenzungen. Mit dieser Politik der sozialen Kälte werden selbst die jüngsten der Kinder immer wieder konfrontiert und müssen sich in diesem rassistischen Klima orientieren und irgendwie behaupten lernen. Bildungskarrieren verlaufen wie bei Jetmir
    deswegen oft auch abweichend von Idealvorstellungen. Das ist bei Kindern mit deutschem Pass, die sozial benachteiligt werden, leider oftmals nicht anders.
    Jetmir deswegen für „nicht zugehörig“ zu erklären, ist Ausdruck einergesellschaftlichen Haltung, die einzig und allein die vermeintliche Leistungsfähigkeit zum Dreh- und Angelpunkt dafür macht, ob einem Menschen menschenwürdige Lebensbedingungen zugebilligt werden oder nicht.
    Jetmir ist für die Unterstützung seiner schwer erkrankten Eltern ein extrem wichtiger Stützpfeiler. Die Eltern sind im Gegensatz zu Jetmir der deutschen Sprache kaum mächtig und bereits deswegen auf seine Hilfe angewiesen. Außerdem übernimmt er
    auf Grund der gesundheitlichen Beeinträchtigungen seiner Eltern auch für seinen 15jährigen Bruder H. eine stützende Funktion. So ist die geplante Abschiebung Jetmirs ein unverantwortlicher Akt behördlicher Barbarei!
    Bis heute werden Roma und Romni europaweit gesellschaftlich ausgegrenzt. Die deutsche Gesellschaft verweigert sich großteils der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte. So wird hier kaum wahrgenommen, dass während der NS-Herrschaft von den Deutschen europaweit ca. eine halbe Million Roma/Romni sowie Sinti/Sintezze gezielt ermordet wurden. Dieses Menschheitsverbrechen trägt in der Überlieferung der Roma den Namen „Porrajmos“ („das Verschlingen“). Ca. 400 Roma und Romni sind in Stadt und Landkreis Göttingen seit vielen Jahren immer wieder akut von einer Abschiebung bedroht. Ihnen drohen sowohl im Kosovo, wie auch in Serbien oder Montenegro eine Landung im wirtschaftlichen Elend. Sie werden dort aufgrund ihrer Minderheitenzugehörigkeit nicht nur noch schärfer ausgegrenzt als
    in Deutschland, sondern zum Teil auch körperlich bedroht oder angegriffen. Die Politik, Roma in Lagern zu ghettoisieren, zeigt vielerorts ein noch schlimmeres Gesicht als hierzulande.
    Jetmirs Abschiebung in dieses Nichts ist durch Nichts zu rechtfertigen. Die Sprache seiner Eltern spricht er nur gebrochen, da er in Deutschland aufgewachsen ist. In Kosovo hat er keine Verwandten, bei denen er eine Bleibe finden könnte, denn diese sind entweder tot oder in die anderen Fluchtländer verstreut. Da selbst die Behörden mittlerweile davon ausgehen, dass Jetmir sich bei der Abschiebung etwas antun
    könnte, ist für den Flug am 07. August eine sogenannte „Begleitung“ vorgesehen. Das bedeutet, dass ihm jemand zur Seite gestellt wird, der aufpassen soll, dass Jetmir das Abschiebeziel lebendig erreicht.
    Abgesehen von einer Übergabe an die Behörden im Kosovo ist das Schicksal von Jetmir den deutschen Behörden dann völlig gleichgültig. Wenn er nach der Abschiebung dann versuchen sollte, jemals nach Deutschland, das er als seine Heimat ansieht, zurückzukehren, müsste er zunächst die Kosten für die Abschiebehaft, den Abschiebeflug, die „Begleitung“ und sämtliche Gerichtsverfahren vollständig bezahlen. Nach erfolgter Zahlung läge es im Ermessen der Göttinger Ausländerbehörde, wie viele Jahre er im Kosovo warten müsste, bevor er jemals wieder legal einen Fuß auf „deutschen Boden“ oder auch einen anderen „Schengen-Staat“ setzen dürfte. Da Roma/Romni in Kosovo aber praktisch keine Arbeits- und
    Verdienstmöglichkeiten bekommen, sind die Abgeschobenen weitgehend auf die Überweisungen ihrer noch nicht abgeschobenen Verwandten angewiesen, die selber nicht genügend Geld zum Leben haben.
    Der AK Asyl ruft angesichts dieses erneuten Falles unmenschlicher Abschiebepolitik dazu alle Göttinger_innen dazu auf, sich gegen diese Politik der Ausgrenzung gemeinsam und solidarisch zur Wehr zu setzen. Es wird zu diesem Anlass am kommenden Montag, den 06. August 2012, um 14.00 Uhr eine
    Protestkundgebung vor dem Neuen Rathaus am Hiroshimaplatz in Göttingen geben. Dort wird es auch für unmittelbar von rassistischer Ausgrenzung betroffene Menschen die Gelegenheit geben, ihre Stimme über ein „offenes Mikrophon“ in die Öffentlichkeit zu tragen. Der AK Asyl fordert die zuständigen Behörden zur sofortigen Freilassung von Jetmir K. aus der Abschiebehaft auf und ihm und seiner Familie endlich das
    dauerhafte Bleiberecht zuzusprechen!
    Der AK Asyl fordert, die Unantastbarkeit der Würde aller Menschen endlich ernst zu nehmen!

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