Protest gegen Abschiebungen mit gerichtlichem Nachspiel

Wedeln mit Luftpumpe – versuchte Körperverletzung?
von am 17. November 2010 veröffentlicht in Politik, Polizei & Justiz, Titelstory

Weil er in einer Gruppe protestierender Abschiebegegner erbost mit einer Luftpumpe wedelte, wurde vor dem Amtsgericht ein Mann zu einer Strafe von 15 Tagessätzen verurteilt.

Am 20. Januar 2010 herrschte Anspannung bei Polizei und Abschiebegegnern. Am Morgen bereits wurde ein Bruder des nun Angeklagten in Abschiebehaft genommen. Gegen Mittag dann wurde bekannt, dass sich der Inhaftierte im Landgericht befinden solle und in Kürze die Abschiebung durchgesetzt werden solle. Es kam zu einer spontanen Demonstration vor dem Amts- und Landgericht (Monsters berichtete), bei der sich zwei Polizisten plötzlich einer ganzen Gruppe erboster Menschen gegenübersahen. Wiedererkannt haben sie den Angeklagten, der eine Luftpumpe geschwungen haben soll.

Eigentlich waren viele Beamte vor Ort: etwa 30 Polizisten waren eingesetzt und bildeten eine Kette, um die Demonstrierenden vom Gericht fernzuhalten. Auf dem Maschmühlenweg sollen dann drei vermummte Personen Papiertonnen auf die Straße geschoben haben. Zwei Polizisten beschlossen, einzuschreiten und setzten zur Verfolgung an, konnten dann schließlich einen mutmaßlichen Tonnenschieber festhalten und begannen zu kontrollieren. Dabei allerdings zogen sie sich auch den Unmut einiger Demonstrierender zu, so dass um sie herum plötzlich eine Gruppe von etwa zehn Personen lautstark protestierte. Dabei soll der Angeklagte dann wütend mit einer Luftpumpe gewedelt haben. Weil sie nicht funken und Verstärkung rufen konnten, brachen die Polizisten ihre Kontrolle schließlich ab.

Der Angeklagte verfolgt die Verhandlung ruhig. Um alles zu verstehen ist er auf Übersetzungshilfe angewiesen, zu den Vorwürfen macht er von seinem Schweigerecht Gebrauch. Bereits zu Beginn der Verhandlung stellt der Richter fest, dass es vermutlich wohl keine gefährliche Körperverletzung gewesen sein kann. Damit strafrechtlich aus einer Körperverletzung eine gefährliche wird, müssen bestimmte Faktoren hinzukommen – wie eine Waffe oder ein „gefährlicher Gegenstand“. Das schienen auch die beiden als Zeugen geladenen Polizisten zu wissen, denn ganz ohne danach gefragt zu werden bekundeten beide, dass sie nicht wüssten, ob das corpus delicti, die Luftpumpe, nun aus Metall oder Plastik gewesen sei. Im Verlauf des weiteren Verfahren geht es dann darum, ob überhaupt ein Versuch vorliegt. Dem ersten Zeugen erklärt der Richter, dass es schon darauf ankäme, ob denn der Angeklagte im Begriff war zuzuschlagen. Darauf will sich der Zeuge aber ebensowenig wie später der zweite Zeuge festlegen. Nach seiner „polizeilichen Erfahrung“ wäre es bestimmt dazu gekommen, aber ein Schlichter habe vorher eingegriffen und habe damals den Angeklagten davon abgebracht, „Dummheiten zu begehen“, wie es später auch der zweite Zeuge schildert.

Der Richter, der mittlerweile keine Anhaltspunkte für einen Körperverletzungsversuch sieht und bereits über eine noch mögliche Nötigung belehrt hat, regt eine Einstellung ohne Auflagen an. Das ist möglich, „wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht“. Nun muss die Vertreterin für die Staatsanwaltschaft – die weisungsgebunden ist – erstmal ihren Vorgesetzten anrufen, da sie selbst die Zustimmung nicht geben mag. Den Vorgesetzten erreicht sie zwar nicht, dessen Stellvertreter trägt ihr aber eine harte Linie auf: sie lehnt die Einstellung, erst recht eine ohne Auflagen, ab. Nun muss der Richter ein Urteil fällen. Die Staatsanwaltschaftsvertretung beantragt Haftstrafe – wenn auch zur Bewährung. Die Verteidigung plädiert auf Freispruch: Es sei nicht klar, ob der Angeklagte überhaupt irgendetwas gefordert habe oder lediglich wütend mit der Luftpumpe in der Hand gestikuliert habe. Und da gelte immer noch der Strafrechtsgrundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“.

Die Forderung nach einer Haftstrafe geht dem Richter dann doch zu weit. Vielleicht auch, weil der Angeklagte nur kärgliche finanzielle Einkünfte hat und eine Geldstrafe somit in den Augen vieler sehr niedrig ausfallen würde, urteilt der Richter auf eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen. Der Angeklagte habe zwar selbst keine bestimmte Handlung von den Polizeibeamten gefordert (die es für die Nötigung bräuchte). Aber er müsse sich die Forderungen der umstehenden Protestierenden zurechnen lassen und habe durch das Drohen mit der Luftpumpe die Forderung nach dem Abbrechen der Personenkontrolle durchsetzen wollen. „Man hat sich nicht in derartige Diensthandlungen einzumischen“, sagt der Richter. Und das Wedeln mit der Luftpumpe sah er dann doch als Auslöser, weshalb die Beamten schließlich wirklich die Personenkontrolle abbrachen.

Nervös war die Polizei wohl auch vor dem heutigen Prozess. Direkt zwischen Gericht und Finanzamt warteten zwei Mannschaftswagen voller Polizisten, hatten dann aber doch nur Gelegenheit zu einer langen Frühstückspause im Fahrzeug. Im Gericht und rundherum patroullierten weitere Beamte und bekannte Zivilpolizisten. Das Verfahren wurde extra in einen Sitzungssaal verlegt, der das Publikum durch eine massive Glaswand von den Verfahrensbeteiligten trennte. Dass bei solchen Prozessen eine Taschenkontrolle und eine Prüfung mit Metalldetektoren erfolgt, ist ja ohnehin zur traurigen Gewohnheit geworden.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

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3 Kommentare auf "Wedeln mit Luftpumpe – versuchte Körperverletzung?"

  1. Name sagt:

    Danke, mehr davon!
    Verfahrensbeobachtung wird immer weniger, obwohl, wie ich finde, gerade zu Zeiten und in Orten größerer repressiver Maßnahmen dies immer wichtiger wird.
    Deshalb: weiter so! Solidarität kann auch erst durch Informationsweitergabe erfolgen! (A)

  2. desertion sagt:

    Auch in Paderborn stand letztens ein Abschiebegegner vor Gericht, ihm wurde Beleidigung und Widerstand gegen die Staatsgewalt bei der Demo gegen den Abschiebeknast in Büren 2009 vorgeworfen. Das Verfahren wurde in 2. Instanz eingestellt. Zum Prozessbericht: http://www.aha-bueren.de/2010/12/verfahren-gegen-demoteilnehmer-eingestellt/

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