Polizeilicher Notstand: Bad Nenndorf verboten
von am 10. August 2010 veröffentlicht in Politik

Mit einem Verbot des rechtsextremen sog. Trauermarsches in Bad Nenndorf will der Landkreis Schaumburg verhindern, dass am Samstag rund 1.000 Neonazis in dem niedersächsischen Kurort aufmarschieren. Gleichzeitig wurde auch die vom Bündnis „Bad Nenndorf ist bunt“ angemeldete Gegendemonstration verboten. In ihrer am Mittwoch morgen zugestellten Verbostverfügung beruft sich die Versammlungsbehörde auf einen zu befürchtenden „polizeilichen Notstand“.

Für das Bündnis übte der Regionsvorsitzende des DGB Niedersachsen-Mitte, Sebastian Wertmüller, scharfe Kritik an dem Vorgehen. „Wir sehen uns nicht als Veranlasser eines polizeilichen Notstandes“, sagte Wertmüller, der mit rund 5.000 Teilnehmern rechnet. Mit Blick auf den geplanten Neonazi-Aufmarsch sprach er von einer „missverstandenen Gleichbehandlung“, durch die das Bündnis in einen Topf geschmissen werde, in den es nicht gehöre. Man werde auch weiterhin den nötigen Protest organisieren: „Wo Nazis öffentlich auftreten,zeigen wir uns“, so Wertmüller. Das Bündnis fordert ein Verbot des rechtsextremen Aufmarsches, weil er an nationalsozialistische Traditionen anknüpfe. Zur Begründung verweist Wertmüller auf die Empfehlung der Organisatoren, bei dem Aufmarsch „unbedingt helle Kleidung -vorzugsweise ein weißes Hemd oder Oberteil- Kleidung zu tragen“. Neonazis in weißen Hemden beriefen sich auf das Auftreten von SA- und SS-Mitgliedern zu der Zeit des Verbotes der Organisationen als Privatarmee Anfang der 1930er Jahre.

Das Göttinger Bündnis gegen Rechts mobilisiert zu den Protesten nach Bad Nenndorf. Ein gemieter Reisebus war bereits nach kurzer Zeit ausverkauft. Auf der Homepage der A.L.I. heißt es, man rechne mit erfolgreichen Klagen vor Gericht gegen die Demonstrationsverbote. Deshalb werde der Bus wie geplant abfahren. Von der Reise mit der Bahn rät die Antifagruppe mit Verweis auf mögliche Nazis in der Bahn ab. Sie empfiehlt, „sich mit PKWs oder gemieteten Kleinbussen dem Bus aus Göttingen anzuschließen.“ (bl)

Neonazi-Werbung mit Tradition

Auch das im Internet beworbene weiße „Solidaritäts T-Hemd“ knüpfe an entsprechende Traditionen an: bei dem aufgedruckten Vierzeiler handelt es sich um einen Text von Heinrich Anacker, einem erfolgreichen Propaganda-Schriftsteller im Nationalsozialismus. Der in den 1930er Jahren mehrfach von den Nazis ausgezeichnete Anacker saß u.a. als Reichskultursenator im „Kulturrat der Reichsschriftumskammer“. „Das hätte der Staatsschutz auch herausfinden können“, sagt der DGB Chef und spricht von einer offensichtlichen SA-Tradition des Aufmarsches. Statt sich auf den polizeilichen Notstand zu berufen, gebe es gute Gründen für ein inhaltlich begründetes Verbot. Der DGB will nun rechtlich gegen die Verbotsverfügung vorgehen, notfalls bis vor das Oberverwaltungsgericht Lüneburg. „Wir wollen nicht riskieren, dass am Ende der rechte Aufmarsch erlaubt wird und unsere Gegendemonstration nicht“, erklärte Wertmüller in Hannover. Der Bürgerprotest werde unter einen polizeilichen Generalverdacht gestellt, ergänzt der Bad Nenndorfer Apotheker Jürgen Übel. Seit dem ersten Neonazi-Aufmarsch 2006 organisiert er den Protest vor Ort mit und spricht von einem kompletten Ausnahmezustand in Bad Nenndorf. Bereits jetzt kreisten Polizeihubschrauber über Bad Nenndorf, in einigen Straßen herrsche Parkverbot für Anwohner. An dem Tag des Aufmarsches komme das öffentliche Leben zum Erliegen: bei privaten Geburtstagsfeiern hätten die Veranstalter in der Vergangenheit Gästelisten bei der Polizei einreichen müssen, um den Geburtstagsbesuch zu ermöglichen. Eine Hochzeitsfeier sei ausgefallen, weil die Polizei die Musiker nicht durchgelassen habe. Nach Übels Angaben waren im vergangenen Jahr rund 1500 Polizisten im Einsatz.

Weiterhin Aufruf zu Blockaden

Auch das Bündnis „NS Verherrlichung stoppen!“ hält an seinem Aufruf für Massenblockaden in Bad Nenndorf fest und ruft zu einem Frühstück auf der Demonstratiosroute der Neonazis auf. Der Sprecher Tim Kröger sagte auf Anfrage, die Erfahrung zeige, wie schnell sich die rechtliche Situation ändern könne. Er kritisierte das Verhalten der Behörde als „hilflos“: statt den Neonaziaufmarsch zu untersagen, rücke das Verbot der Gegendemonstration den berechtigten Protest in die Nähe einer Straftat. Unterstützung erhält das überregionale Bündnis von dem Landesverband der Grünen, der mit einem Parteibeschluss schon im April zu Blockaden in Bad Nenndorf aufgerufen hatte. Nach den guten Erfahrungen in Dresden sei die Aktionsform ein legitimes Mittel, damit die „Nazis keinen Meter Boden gewinnen“, sagte die Landesvorsitzende der niedersächsischen Grünen, Anja Piel, auf einer Pressekonferenz. Es könne kaum verboten werden unter freiem Himmel zu frühstücken.

Derweil hat auch das selbsternannte rechtsextreme „Gedenkbündnis“ eine Klage gegen das Verbot angekündigt. Bei einem Erörterungstermin vor dem Verwaltungsgericht Hannover war der Anmelder des „Trauermarschs“, Matthias Schulz aus Verden, nicht erschienen, jetzt heißt es seitens der Neonazis: „ Unsere Anwälte sind sich sicher, dass wegen der mehr als dürftigen Argumentation des Landkreises ein Verbot vor Gericht keinen Bestand haben wird“. Mit einer gerichtlichen Entscheidung wird in den kommenden zwei Tagen oder erst am Samstag, den 14.8. gerechnet. Der mittlerweile fünfte „Trauermarsch“ der rechtsextremen Szene ist der größte Neonazi-Aufmarsch in Norddeutschland. Seit 2006 führt der jährliche Aufmarsch durch die Stadt zum Wincklerbad, wo der britische Geheimdienst nach dem zweiten Weltkrieg knapp zwei Jahre lang ein Verhör- und Internierungslager betrieben hatte. In der Einrichtung wurden auch Häftlinge misshandelt.

Artikel teilen

8 Kommentare auf "Polizeilicher Notstand: Bad Nenndorf verboten"

  1. vebi sagt:

    das hab ich grad gefunden, ungeheuerlich, wenn das so stimmt:

    Hannover (dpa/lni) – Das Verwaltungsgericht Hannover hat das Verbot für den am Samstag geplanten Aufmarsch von Neonazis in Bad Nenndorf gekippt. Damit gaben die Richter am Donnerstag einem Eilantrag der Rechtsextremen statt. Den Antrag des Deutschen Gewerkschaftsbundes für eine Gegendemonstration lehnten sie jedoch ab. Der Landkreis Schaumburg hatte beide Demos verboten, weil polizeilicher Notstand herrsche. Dies sei jedoch nicht zulässig, teilte das Gericht mit. Zumindest eine Veranstaltung könne bewältigt werden. Die Rechten hätten ihre Versammlung zuerst angemeldet und dürften daher demonstrieren (Az. 10 B 3508/10 und 10 B 3503/10).

  2. Rakete sagt:

    „Die Kammer hat auch erwogen, ob dem DGB statt eines Totalverbots nicht zumindest die Durchführung einer stationären Versammlung gestattet werden könne. Sie sieht sich hieran allerdings dadurch gehindert, dass es zur Vermeidung eines polizeilichen Notstands notwendig erscheine, gewaltbereiten Kräften nicht die Möglichkeit einzuräumen, im Rahmen einer rechtmäßig durchgeführten Versammlung zu agieren. “

    Der DGB darf also keine Kundgebung abhalten, weil das „gewaltbereiten Kräften“ eine Anreise ermöglichen würde. Das kann doch nicht wahr sein!

  3. vebi sagt:

    wow, das übertrifft echt meine kühnsten erwartungen und befürchtungen. krass, einfach nur krass…

  4. Rakete sagt:

    Pressemitteilung des DGB:

    Unglaublicher Vorgang: Verwaltungsgericht lässt Nazi-Aufmarsch zu und
    bestätigt Verbot der Gegendemonstration

    Als ebenso einzigartigen wie unglaublichen Vorgang bewertet Sebastian
    Wertmüller vom DGB in Hannover die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes
    Hannover, für den 14.08. das Verbot des Naziaufmarsches in Bad Nenndorf
    aufzuheben, das Verbot der Gegendemonstration von „Bad Nenndorf ist bunt“
    (angemeldet vom DGB) aber zu bestätigen.

    Der Regionsvorsitzende: „Das heißt im Klartext: Ein Aufzug in der offenen
    Tradition des SA, durchgeführt von militanten Rechtsextremen der sog.
    Kameradschaftsszene wird nicht verboten. Der bürgerliche Gegenprotest wird
    aufgrund ominöser Gefahrenprognosen von Polizei und Verfassungsschutz
    untersagt.“

    Unter diesen Voraussetzungen könne man noch jahrzehntelang folgenlos über
    Zivilcourage, Hinsehen statt Wegsehen, bürgerschaftliches Engagement und
    Einsatz für die Zivilgesellschaft reden. Ein derartiger Vorgang gefährde die
    Bemühungen aller Demokratinnen und Demokraten in Bad Nenndorf und im
    Landkreis Schaumburg in den letzten Monaten und Jahren.

    Insbesondere kritisiert Wertmüller, dass durch unbestimmte und allgemeine
    Hinweise auf möglicherweise anreisende angebliche linksextreme Gewalttäter
    der gesamte Widerstand der Gewerkschaften, der Kirchen, der demokratischen
    Parteien, der jüdischen Gemeinde, der Stadt- und Gemeinderäte, der Vereine
    und der Gewerkschaften gegen die braune Pest diskreditiert werde.

    Wertmüller kündigt an, gegen diese Entscheidung vor das OVG on Lüneburg zu
    ziehen und im Zweifel jede rechtliche Möglichkeit zu nutzen, um das Verbot
    noch aufzuheben.

    Vom Landkreis erwartet der DGB, dass er an seiner Verbotsverfügung gegenüber
    dem sog. Trauermarsch der Rechtsextremen festhält und ebenfalls zur nächsten
    Instanz zieht.

    An alle Mitstreiter appelliert der DGB-Chef: „Macht Eure Empörung sichtbar,
    wendet Euch an Parlamentarier und Medien. Schreibt Protest-Mails und -Briefe.
    Lasst Euch dieses Verbot nicht gefallen. Protestiert und fordert das
    Versammlungsrecht ein.“

    Wertmüllers Bilanz: „Ein sehr trauriger Tag für die Zivilgesellschaft, aber
    auch ein Ansporn mehr an uns, noch aktiver gegen Rechtsextremismus
    vorzugehen.“

Schreibe einen Kommentar

Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar zu schreiben. Anmelden | Registrieren

Bitte lese dazu unsere Regeln und Hinweise zum Kommentieren.