Für gesellschaftliches Engagement – Gegen Kriminalisierung und politische Justiz
von am 10. März 2010 veröffentlicht in politische Justiz

Polizei und Staatsanwaltschaft in Göttingen gehen immer wieder mit Hilfe der Justiz gegen politisch engagierte Menschen vor, die ihnen in besonderer Weise ein Dorn im Auge sind. Politische Initiativen werden so gezielt geschwächt. Aus den letzten drei Jahren gibt es dafür zahlreiche Beispiele. Auch aktuell laufen gleich mehrere solcher Gerichtsverfahren gegen politisch aktive Menschen aus Göttingen. Sie zeigten Engagement gegen den erstarkenden Nazismus in der Region und waren kritische Öffentlichkeit bei Polizeiübergriffen während einer Bildungsdemonstration. Sie beteiligten sich an Protesten nach der Räumung eines freien Uni-Cafés und machten in ihren Medien auf eine rassistische Kampagne gegen MitbürgerInnen aufmerksam.

Dieser Text stammt aus der Broschüre der Initiative für gesellschaftliches Engagement – gegen Kriminalisierung und politische Justiz. Presserechtlich verantwortlich ist Patrick Humke-Focks, MdL.

Wenn Neonazis erstarken, wenn Bildungschancen systematisch verbaut werden, wenn die Militarisierung der Gesellschaft immer mehr zur Normalität wird, wenn Menschen rassistisch ausgegrenzt und ins Elend abgeschoben werden sollen – dann ist es Zeit, sich einzumischen. Wo solche Einmischung Wirkung zeigt, sehen es staatliche Ordnungskräfte als ihre Aufgabe, das gesellschaftliche Engagement kontrollierbar zu halten. Gelingt dies nicht mit herkömmlichen Mitteln, versucht die politische Polizei auf anderem Weg Protest einzudämmen und zu zerstreuen: Zur Abschreckung werden gegen einzelne AktivistInnen Strafverfahren mit (teilweise) konstruierten Tatbeständen eröffnet. Die Anklagen beruhen oft lediglich auf den Aussagen von einem/einer oder mehreren PolizistInnen. Es gibt keine objektiven Beweise, die diese Aussagen stützen.

Es ist immer das gleiche Muster: Die Polizei konzentriert sich auf Menschen, die sich aus ihrer Sicht z.B. besonders hartnäckig engagieren, dabei wenig kooperieren und denen sie größeren Einfluss zuschreibt. Diese meist namentlich bekannten AktivistInnen werden bei nächstbester Gelegenheit – wenn sie sich in der Öffentlichkeit engagieren – angezeigt. Dafür werden Vorgänge erfunden und schließlich Straftaten wie Widerstand, Landfriedensbruch oder Beleidigung konstruiert. In den meisten Fällen stellt die Polizei selbst Strafanzeige, manchmal wirkt sie auch darauf hin, dass BürgerInnen dies tun. Die Betroffenen erwarten nun Ermittlungsverfahren, aufwändige und teure Gerichtsverfahren und – sollten sie ihre Unschuld nicht beweisen können – hohe Strafen. Die Aussagen der anschuldigenden PolizeizeugInnen werden von den RichterInnen selten kritisch hinterfragt. Entlastende Aussagen von Nicht-PolizistInnen wird von RichterInnen wenig Glauben geschenkt. EntlastungszeugInnen drohen vielmehr Anzeigen wegen Falschaussage. Nicht immer gelingt es, durch Beweise oder das Aufzeigen von Widersprüchen in den Polizeiaussagen einen Straftatvorwurf als konstruiert zu entlarven. Doch auch der Weg zu einem Freispruch kostet die Betroffenen viel Zeit und Nerven. Für sie ist die Unschuldsvermutung faktisch aufgehoben: Sie müssen beweisen, dass sie unschuldig sind, wenn sie von einem Polizisten oder einer Polizistin beschuldigt werden.

Die Polizei hat bei solchen Kriminalisierungen nur Vorteile. Das Risiko ist für sie kalkulierbar. Eine Anzeige kostet sie nichts, ermöglicht aber ein Ermittlungsverfahren. Wenn die Polizei alles gut vorbereitet hat, eröffnet die Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren nach Aktenlage. Entweder werden den Beschuldigten Strafbefehle zugestellt oder es geht gleich vor Gericht. Ihren Auftritt vor Gericht erledigen die PolizeizeugInnen meist in ihrer Dienstzeit, ihre Aussagen können sie vorher noch abstimmen. Oft reicht die Aussage eines/einer einzigen PolizistIn, um einen Vorwurf aufrecht zu erhalten. Folgt das Gericht der Anschuldigung, kommt es zur Verurteilung. Erfolgt wegen unklarer Sachlage eine Einstellung, bleiben die Angeklagten dennoch auf den Anwaltskosten u.ä. sitzen. Und selbst bei einem Freispruch steht noch lange in den Akten und Registern, dass gegen die AktivistInnen ermittelt wurde – davon lassen sich z.B. RichterInnen bei späteren Verfahren und bei der Festlegung von Strafmaßen beeindrucken. Die Polizei kann im Übrigen davon ausgehen, dass Verfahren wegen Falschaussage gegen sie selbst meist im Sande verlaufen.
In einer Zeit, in der Sozialabbau weiter um sich greift, immer größere Teile der Bevölkerung ausgeschlossen und ihnen Lebenschancen systematisch verbaut werden, wollen wir nicht untätig zuschauen. Wir finden uns nicht damit ab, wenn in Göttingen brutale Abschiebungen vollzogen werden, Nazis mit Hetze ihren Einfluss erweitern oder Atommüll durch Göttingen rollt, wenn Gewalt an Frauen verschwiegen und Militär verherrlicht wird. Gegen all dies gilt es im Kleinen wie im Großen aktiv zu werden – jede und jeder an seinem Ort, auf ihre Weise.

Deshalb werden wir uns einmischen, wenn politisches Engagement und Proteste gezielt kriminalisiert werden. Es ist an der Zeit, das skandalöse Vorgehen von Polizei und Justiz ans Licht der Öffentlichkeit zu holen und die Betroffenen zu unterstützen.

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Ein Kommentar auf "Für gesellschaftliches Engagement – Gegen Kriminalisierung und politische Justiz"

  1. oho sagt:

    Dass sich die Göttinger Regionalgruppe der „Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba“ in dem Bündnis für „gesellschaftliches Engagement“ und gegen „politische Justiz“ engagiert, ist durchaus amüsant. Erstaunlich für Freunde des Spätstalinismus

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