Rückenwind für die nationale Opposition? Die aktuelle Neonaziszene in Südniedersachsen
von am 7. Dezember 2009 veröffentlicht in Hintergrund, Politik

Nach dem Austritt bekannter Partei-Funktionäre aus der NPD im Jahr 2004 tritt die extreme Rechte in Göttingen nur noch selten offen auf. Auch Nazidemonstrationen und -kundgebungen sind in Südniedersachsen seit 2006 ausgeblieben. Doch vor allem im Göttinger Umland organisierte sich die extreme Rechte neu.

Der Journalist Kai Budler referierte im Theaterkeller über neonazistische Strukturen in der Region. Bei Monsters of Göttingen stellt er seine Rechercheergebnisse zusammengefasst vor.

Anders als in nördlicheren Regionen scheint es in und um Göttingen keine fest organisierte extrem rechte Szene zu geben wie sie in anderen Städten zu finden ist. Trotzdem ist Südniedersachsen immer wieder Schauplatz neonazistischer Aktivitäten: bei so unterschiedlichen Formen wie Fußballspielen, Konzerten oder Aufmärschen ist die extreme Rechte aus der Region immer wieder beteiligt. Deren Gefährlichkeit zeigte sich nicht zuletzt durch die Waffenfunde, auf die die Polizei im Januar diesen Jahres bei einer groß angelegten Razzia in Südniedersachsen gestoßen war.

Dass die militante Rechte auch ohne feste Strukturen auskommt, hat sich in dem Prozess wegen der Ereignisse in der Weender Table Dance Bar „Moonlight“ gegen drei Mitglieder der Szene vor dem Landgericht Göttingen gezeigt. Doch auch ohne organisierte Strukturen können die Neonazis im Göttinger Umland auf ein funktionierendes Netzwerk zurück greifen, das unabhängig von Parteien und Gruppierungen auf gewachsene Seil- und Freundschaften baut. Nach Polizeiangaben leben in der Region etwa 160 Angehörigen der extrem rechten Szene, ein Vertreter des Niedersächsischen Verfassungsschutzes sprach dabei von „einem möglichen Nukleus einer drohenden Landnahme“.

Verglichen mit der Größe der Region versorgen überproportional viele Versände und Geschäfte die Neonazis mit allem, was ihr Herz begehrt. Mit der (momentan offenbar inaktiven) Rechtsrockband „Agitator“ und mehreren extrem rechten Liedermacher_innen ist auch für das „Kulturprogramm“ gesorgt.


Die Kameradschaft Northeim bei einer Demonstration in Dresden am 13. Februar 2009…

Schon längst haben sich die traditionellen Trennlinien zwischen Parteistrukturen und Zusammenschlüssen wie den sog. „Freien Kameradschaften“ aufgelöst: Vertreter des Kameradschaftsmodells wie Thorsten Heise sitzen in den Kommunalparlamenten, während Parteivertreter auf Neonaziaufmärschen bei der „Kameradschaft Northeim“ mitlaufen. Während die Parteiarbeit den Einfluss der Neonazis vor Ort begünstigt, spült sie gleichzeitig zusätzliche finanzielle Mittel in die Kassen der extremen Rechten. Dementsprechend gibt es in Südniedersachsen nicht nur ein Organisierungsmodell der extremen Rechten. Alte Formen sind miteinander verschmolzen und einer gewachsenen, aber integrationsfähigen Szene gewichen.

Die aktuelle extreme Rechte kooperiert landesweit mit anderen Gruppen wie beispielsweise den Snevern Jungs, präsentiert sich äußerst heterogen und über Kreis- und Ländergrenzen hinweg vernetzt. Das zeigt sich nicht nur an der Zusammenarbeit der NPD-Kreisverbände Nordhausen, Harz und Osterode mit dem Namen “Festung Harz”, um “die Kampangenfähigkeit und Geschlossenheit der Gesamtpartei [zu] dokumentieren”. Die „parteiferne“ Szene hingegen präsentiert sich inzwischen seit September diesen Jahres als „Kameradschaft Dreiländereck“ und zieht damit die Konsequenz der engen Kooperation zwischen den Akteuren aus Hessen, Niedersachsen und Thüringen.


…und in Bad Nenndorf am 1. August

Neben Zusammenschlüssen wie den sog. Kameradschaften ist nicht nur die NPD aktiv, sondern neuerdings auch der „Ring nationaler Frauen“ vertreten. Die Frauenorganisation ist inzwischen eine offizielle Untergliederung der NPD, wirbt aber auch um die Mitgliedschaft von Frauen außerhalb der Partei. Die Neonazi-Szene hat schon längst deren Rekrutierungspotenzial erkannt und setzt dabei verstärkt auf die Arbeit von extrem rechten Frauen, um in die vermeintliche Mitte der bürgerlichen Gesellschaft zu rücken. Ein weiteres Mittel, um dieses Ziel zu erreichen, ist die Arbeit in gesellschaftlich wichtigen Institutionen wie der Feuerwehr oder das Engagement in Bürgerinitiativen. Ein Beispiel ist der Bad Lauterberger NPD-Ratsherr Michael Hahn, der in letzter Zeit sein Herz für die örtliche „Bürgerinitiative Müllgebühren Osterode“ entdeckt hat. Zu den entsprechenden Mitteln gehören auch Kinderfeste, wie sie die NPD Eichsfeld durchführt, um zu der Erlebniswelt in der ländlichen Region beizutragen.

Mögliche Erfolge dieser Strategien hängen nicht zuletzt von der politischen Wahrnehmung und der entsprechenden Reaktion vor Ort ab. Gerade am Beispiel des Harzes zeigt sich, dass mangelndes zivilgesellschaftliches Engagement eine Profilierung der extremen Rechten noch verstärkt.

Kai Budler ist Hörfunkredakteur und als freier Journalist tätig. Er arbeitet unter anderem für NPD-Blog und den Störungsmelder sowie für verschiedene Printmedien. Zu seinen Schwerpunktthemen gehört u.a die extrem rechte Szene in Niedersachsen und in der Region.

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