Grand Hotel und trotzdem DIY!
von am 12. Dezember 2007 veröffentlicht in Gespräche, Texte

ESC

Ein Interview mit Escapado

Schon seit Wochen freue ich mich auf den sechzehnten Dezember, wenn ESCAPADOaus Husum/Flensburg endlich wieder in Göttingen aufspielen werden. Denn seit ihrem letzten Besuch im Cafe Kreuzberg hat sich bei der Band vieles getan: Die Gruppe hat mit „Initiale“ eine großartige neue Platte aufgelegt, welche ich zu den besten Alben des Jahres zähle. Denn auch wenn manche Kritiken arg überschwänglich ausgefallen sind und sie lediglich den Pressetext rezitiert zu haben scheinen, kann das Album sehr viel mehr: Aufbrausender, energischer und emotionaler Hardcore wird verbunden mit viel Tiefgang und nachdenklichen Zwischentönen, welche von den deutschen Texten verstärkt werden. Ich sehe das Album als konsequente Weiterentwicklung des Vorgängers „Hinter den Spiegeln“ an und kann den neuen – teilweise – melodischeren Tönen sehr viel abgewinnen…denn wer will denn schon Stagnation und Wiederholung? Bereits Mitte September, kurz vor der Veröffentlichung von „Initiale“, habe ich mit Gitarrist Sebastian und Schlagzeuger Christoph in Münster ein Gespräch geführt:


MOG: Bevor wir auf die jüngere Vergangenheit und das neue Album „Initiale“ zu sprechen kommen, würde ich gerne noch mal kurz über die Anfänge der Band mit euch sprechen wollen. Wie kam es eigentlich zu der Gründung von ESCAPADO?

Sebastian: Mit unserem Schlagzeuger Christoph mache ich schon sehr lange Musik und dann kam irgendwann Helge dazu. Wie sind früher alle zusammen zur Schule gegangen und haben erst einmal eine andere Band gehabt, die aber in eine andere Musikrichtung ging.

MOG: Wie hieß eure Band denn?

Sebastian: Quaint, aber das ist eigentlich wirklich unwichtig. Hamburger Schule. Und dann wollten wir irgendwann deutlich davon weg und haben nur zwei, drei Konzerte mit dieser alten Band gemacht. Als Helge dann dabei war hat es sich auch schon ganz anders angehört, weil ich vorher noch selbst gesungen habe. Und dann haben wir halt ESCAPADO gegründet. Der Name ist dadurch entstanden, dass wir damals noch ein Konzert im Speicher in Husum hatten und dafür einen Namen brauchten.

MOG: Ich dachte, ihr hättet euch nach einem spanischen Rennpferd benannt?

Christoph: Ja, es gibt ein ganz berühmtes Rennpferd in Spanien, das mit uns aber nichts zu tun hat.
Sebastian: Als wir uns ESCAPADO nennen wollten, haben wir natürlich erst mal gegoogelt, weil wir wissen wollten, ob es den Namen „Escapado“ schon gibt und ob er irgendwo auftaucht…einfach auch um Copyright Probleme zu vermeiden. Später haben wir dann herausgefunden, dass es doch noch dieses Rennpferd gibt, aber das war uns dann egal.

MOG: Ihr habt nach vielen Rückschlägen endlich euer neues Album aufgenommen und mit dem Gran Hotel eine neue, große Heimat gefunden. Euer erstes Album wird von einigen Vielen sehr verehrt und geliebt und sogar die Visions hat sich in euch verguckt. Vor der Veröffentlichung von „Initiale“ steht alles auf Sturm. Wie empfindet ihr die letzten Wochen vor der Veröffentlichung?

Christoph: Viel zu tun…
Sebastian: Ich habe ja gleichzeitig meine Examensklausur geschrieben und die ist dann auch nicht so gut gelaufen… In letzter Zeit war einfach viel zu tun und ich dachte, dass es weniger werden würde, weil wir jetzt auch jemanden haben, der uns beim Booking wirklich hilft.
Christoph: Trotzdem bleiben noch so viele Sachen zu koordinieren, an die man vorher gar nicht gedacht hatte. Obwohl da ja noch Vorinstanzen sind muss man trotzdem noch viel selber machen.
Sebastian: Wir wollen ja auch die Kontrolle behalten und alle Schritte gehen noch immer über uns…und das sind jetzt im Moment sehr viele Schritte (lacht). Wir werden jetzt auch mit Sachen konfrontiert, bei denen man einfach überlegen muss: Macht man das jetzt oder lässt man es besser? Ja, es ist alles viel Arbeit…

MOG: Und jetzt einmal abgesehen von den logistischen Dingen. Denkt ihr nicht manchmal, „jetzt sind wir bei ner große Plattenfirma und…“

Sebastian: Erst einmal ist das Gran Hotel keine großes Plattenfirma. Es ist ein Indielabel, bei dem alles familiär abläuft; vier Leuten machen das, von denen zwei hauptverantwortlich sind. Und sooo ganz viel anders als vorher ist es für uns auch nicht, weil wir früher auch schon zwei Leute hatten, die für uns zuständig waren. Die hatten jeweils ihr eigenes Label, über das wir uns kontaktiert haben. Einen Unterschied ist natürlich, dass das GHvC mit Indigo noch einen eigenen Vertrieb hat und man damit mehr Leute erreicht. Abgesehen davon ist es aber gar nicht viel anders, als die Leute vielleicht denken…es ist halt immer noch viel DIY! Es klingt vielleicht widersprüchlich, wenn man beim GHvC ist und trotzdem DIY, aber so ist es gar nicht, denn mit den Leuten mit denen wir arbeiten verstehen wir uns super. Das ist auch bei anderen Sachen so, z. B. mit dem Artwork, was wir dieses Mal abgegeben haben, da wir es nicht so gut können. Das hat der Benni gemacht, der auch heute das Konzert in der Baracke organisiert und auch schon das erste Konzert mit uns gemacht hat. Aber jetzt mit dem Gran Hotel können wir die Leute auch mal bezahlen. Früher lief das immer über Freundschaften, so „du kriegst unsere Platte“ und jetzt bekommt er halt ein bisschen Geld. Das ist doch völlig korrekt – der hat 100 Stunden am Artwork gesessen. Aber generell: Die Leute mit denen wir arbeiten, sind alles Freunde von uns, auch die Leute vom Gran Hotel. Deshalb haben wir uns darauf eingelassen.

MOG: Wo wir gerade beim Artwork sind, du Sebastian hast einmal gesagt, dass eure Heimat (Flensburg / Husum) eher eine indirekte Beeinflussung für eure Musik darstellen würde. Auf dem Albumcover prangen nun auf einmal Hafen, Möwe und Matrose. Wessen Idee war es, eure maritimen/nordischen Wurzeln so in den Vordergrund zu rücken?

Sebastian: Benni hatte sofort die Idee das Artwork in diese Richtung hin zu gestalten, weil immer an diesen Bezug denken musste, wenn er ESCAPADO hört. Wir fanden das ganz gut und sehen das so eher mit einem zwinkernden Auge. Natürlich ist es eine Hommage an unsere Heimat; da kommen wir her und ich denke mal, dass wird auch immer so bleiben, dass wir uns dem Norden verbunden fühlen. Also jetzt nach Bayern…das würde nicht gehen, da würde ich das Meer vermissen. Auf der alten Platte hatten wir ein Cover, das gut zum Titel gepasst hat. Dieses Mal wollten wir etwas haben, was uns generell ausmacht. Und dann ist da noch was: Vorne beim Schriftzug ist ein Albatros zu sehen und das hat schon eine Bedeutung. Denn damals, als die Schiffe zur See gefahren sind, hat ein Albatros Glück bedeutet und wir hoffen natürlich auch, dass wir mit der neuen Platte Glück haben werden.
Christoph in den Raum hinein: …Wasser muss schon sein!

MOG: Wie ist eigentlich der Kontakt zum Gran Hotel zustande gekommen?

Christoph: Der hat sich über Myspace entwickelt. Der Thees (Uhlmann, Sänger von Tomte und Mitbegründer vom GHvC – Anm. d Verf.) ist auf unsere Myspace-Seite gekommen und hat alles ganz interessant gefunden, was wir so machen und dann haben wir über E-mails den Kontakt aufgenommen. Und so ist es dann in Hamburg zu einem Treffen gekommen.
Sebastian: Er und alle anderen vom Gran Hotel haben dann noch ein Konzert von uns in Rendsburg besucht und die Woche darauf war es eigentlich klar, dass es läuft. Bei unserem Treffen haben wir dann gesagt, was wir so wollen, uns wichtig ist und wir beibehalten wollen und dann sind wir schnell zusammen auf einen Konsens gekommen. Und natürlich haben sie uns auch einen guten Vertrag angeboten… Also ich denke mal, wir stehen ganz gut da.

MOG: Ehrlich gesagt waren nicht wenige davon überrascht, dass ihr plötzlich bei GHvC seid, weil die ja – zumindest bislang – im Hardcore oder Punk Sektor so gar nicht aktiv gewesen sind.

Sebastian: Ihr Angebot kam ausgerechnet zu einer Zeit, als ESCAPADO auf Eis lagen und obwohl wir an der Platte dran waren, wussten wir noch nicht, wie diese werden würde. Wir hatten ein paar Angebote vorliegen, aber das Gran Hotel hat uns von allen die meisten Freiheiten gelassen. Auch wegen ihren Roots, wie man Sachen angeht: Das Label hat sich damals ja gegründet, als niemand die erste Kettcar Platte veröffentlichen wollte. Mit ESCAPADO war es halt so ähnlich; uns wollten zwar auch andere veröffentlichen, aber irgendwie schienen wir nirgendwo richtig reinzupassen. Auf einmal gab es immer mehr Parallelen und als wir uns dann auch menschlich verstanden haben, waren da keine Hindernisse mehr.

MOG: Kommen wir jetzt einmal auf Stücke eures neuen Albums zu sprechen, von denen einige recht ungewöhnlich betitelt sind. Was kann man sich beispielsweise unter dem/einen „Kommando Mosfet“ vorstellen?

Beide überrascht: Was, du willst nichts über „Coldblackdeathbloodmurderhatemachine“ wissen? Das wollen sonst immer alle…
Sebastian: Naja, ich kann das mal ganz knapp erklären: Eigentlich hieß der Song schon seit zwei Jahren „Worte“ und ist das erste Stück von uns nach „Hd.S.“. Zwischenzeitlich haben wir Konzerte mit Todd Anderson und einer anderen Band zusammen gemacht, die auch beide einen Song „Worte“ hatten. Und als uns dann aufgefallen ist, dass die meisten Stücke auf „Initiale“ aus einem Wort bestanden, haben wir dann halt einen Zweiworttitel genommen (lacht). Einen Abend, bevor die Platte fertig war, kam ich dann eben auf „Kommando Mosfet“. Ich fand, dass klang mächtig! (Pause) „Mosfet“ ist ja so eine Endstufe/Verstärker und weil Helge am Anfang dreimal „Worte“ schreit, hört es sich an wie ein Kommando. Eigentlich brauchten wir aber nur schnell einen neuen Titel…

MOG: Eben gerade habt ihr „Coldbackdeathbloodmurderhatemachine“ ja schon angesprochen und ich muss sagen, dass mich gerade der Anfang frappierend an ein Lied der Gruppe Beloved (R.I.P.) („Kiss It Goodbye“) erinnert. War das Zufall oder Absicht?

Beide durcheinander: Jaja, dass war Zufall…total.
Sebastian: Neulich hat uns das schon einmal jemand geschrieben, dass die Stücke gleich wären und ich dachte nur, „Beloved – kenn´ ich nicht“. Dann hat er mir die MP3 geschickt, ich habe es mir angehört und muss sagen, dass ist zwar der selbe Akkord und die selbe Melodie danach, aber eine andere Taktart! (strahlt) Es ist Zufall…kann ja immer mal passieren…so zwölf Töne…
Christoph dazwischen: …keine Ideen… (lacht)
Sebastian: Die ersten 20 Sekunden sind schon ziemlich gleich, aber danach ist „Coldblack“ schon anders. Als ich es das erste Mal gespielt habe, dachte ich bei mir, dass ich den Song irgendwo anders her kennen würde. Aber das Stück von Beloved kannte ich wirklich nicht. Uns ist so etwas schon bei „Magnolien“ im Studio passiert, als jemanden ein Part an Thursday erinnerte. Ich habe mir das Stück nur angehört und dachte nur „krass, genau der selbe Rhythmus“ und habe dann nachträglich noch schnell eine andere Melodie eingespielt. Aber das ist echt keine Absicht gewesen – ich würde nie absichtlich einen Song nehmen und das genauso so mal nachspielen. Auf keinen Fall…das wäre mir viel zu dumm!
Christoph: Dann sind wohl eher so Sachen, die unterschwellig passieren. Schließlich will man ja auch was Eigenes kreieren.

MOG: In einem anderen, älteren Interview hast du Sebastian mir gesagt: „Nur wer sich verändert, kann sich selbst treu bleiben“. Ich finde besonders, dass man euren Song „Solange du weißt“ in diese Richtung deuten könnte: „Texte (…) wurden weitergereicht, an Menschen, die sie annehmen, an Menschen, denen bewusst ist, dass Gedanken sich bewegen“. Ich wollte erst einmal fragen, wer den Text geschrieben hat und ob man den eher persönlich oder auch in Bezug auf eure Band auslegen kann?

Sebastian: Beides. Helge schriebt überwiegend die Texte und ich habe dann halt manchmal so Zeilen, die ich ihm dann gebe und er schreibt da drum. Bei „Solange du weißt“ ist es so, dass der Text genau das beschreibt, was du meintest: Was passiert, wenn man die Erwartungen von anderen Leuten nicht erfüllt und einfach einen anderen Weg einschlägt und sich verändert? Andererseits passt er auch zu dem Song gut dazu, gerade weil er so aus der Platte herausfällt. Deswegen haben wir ihn mit auf die Platte genommen, weil der Text so für sich spricht und gleich die Antwort gibt, warum der Song so anders ist. Wir mögen den Song auch und werden ihn auch ab und zu mal live spielen.

MOG: Wenn sich Gedanken bewegen und eure Texte immer weitergereicht werden…nach der Maxime „nur wer sich verändert, kann sich treu bleiben“…habt ihr schon mal daran gedacht, auf der Bühne viel mehr zu improvisieren und beispielsweise eure alten Texte weiterzuentwickeln und umzuschreiben?

Sebastian: Wir sind generell keine Band, die jeden Song gleich spielt und das haben wir heute auch nicht gemacht: „7:58“ war anders, „Coldblack“, „Ausgeblendet“ und andere Stücke. Ich find einfach, dass „live“ und „auf Platte“ was anderes sind: Wenn der Song auf der Platte funktioniert, muss er nicht live so funktionieren! Manchmal wissen wir bei den Konzerten selbst nicht so genau, wann jetzt der nächste Part kommt. Wir lassen es dann einfach laufen und gucken was dabei herauskommt. Es ist zwar nicht so wie bei The Mars Volta, dass jeder Song improvisiert ist, aber wir haben im Set immer so drei, vier Stellen, bei denen wir vorher nicht wissen, was dabei herauskommt und dann gucken wir halt mal.

MOG: Ein wenig hat es den Anschein, dass ihr euch jetzt schon für die eventuelle Szenekritik schon im Vorfeld rechtfertigen wollt („Du hast es angedeutet, nicht alle haben es bemerkt, und wenn sie jetzt enttäuscht sind, dann können sie dir egal sein“). Kann euch unsachliche Kritik nicht völlig egal sein, oder geht es euch auf die Nerven, wenn man im Internet Sachen wie „Mädchenhardcore“ usw. ließt?

Sebastian: Auf der einen Seite schon und dann wieder auch nicht. (beide lachen) Ich finde es krass, dass dir das auffällt, denn genau das thematisiert der Song: Auf der einen Seite geht es dir voll am Arsch vorbei und deshalb „können sie dir egal sein“. Aber ich hätte nicht gedacht, dass es gleich jemanden auffällt. Wir haben es jetzt halt einmal gesagt und damit haben wir auch alles gesagt.

MOG: Wie würdet ihr eigentlich darauf reagieren, wenn bei einem eurer Konzerte auf einmal ein wüster Prügelpit aufbrechen würde, wie es bei Hardcore Konzerten mittlerweile ja leider Gang und Gebe ist?

Christoph sofort: Aufhören zu spielen!
Sebastian: Das gab es jetzt schon so ein, zwei Mal und dann brechen wir kurz ab und sagen, dass wir so nicht sind und wir das nicht wollen und dann spielen wir weiter. Wenn wir es die paar Male angesprochen haben, haben die Leute auch nicht wieder damit angefangen. Ich muss sagen, da haben wir auch irgendwie Glück. Zum Beispiel haben wir vor ner Zeit einmal im Leipzig mit vier Metalcore-Bands zusammen gespielt, bei denen die Zuschauer immer gleich Pits gebildet haben. Da meinten wir halt auch, dass wir das nicht so gerne haben und die meinten auch gleich gleich, „nee, klar, bei euch machen wir das auch nicht; ihr seid doch ganz anders“. Und dann haben sie auch nicht damit angefangen.
Christoph: So ein bisschen Abgehen ist ja auch ganz geil, aber wenn dann so Füße in die Luft schlagen ist das was ganz anderes.
Sebastian. Wir machen halt auch nicht so ne Mucke. Wir sind doch so ziemlich die einzige Hardcore-Band, die so gar keinen Moshpart mit Ansage hat.

MOG: Auf dem Omas Teich Festival habt ihr zusammen mit Aereogramme gespielt.
Für diese handelte es sich damals um ihr Abschlusskonzert in Deutschland, nachdem die Mitglieder, aufgrund von „finanziellen Notlagen“ ihre Band aufgegeben haben. Wie wirkt so etwas auf eine junge Band wie euch?

Christoph: JR Erwing könnte man auch noch mit dazunehmen!
Sebastian: Genau über so etwas machen wir uns in letzter zeit sehr viel Gedanken! Es ist mittlerweile einfach verdammt schwer geworden, wenn man sich sehr viel Mühe gibt und viel in die Musik investiert und anderseits immer mit dem finanziellen Aspekt konfrontiert wird. ESCAPADO werden von der Musik niemals leben können und wir werden immer noch andere Sachen machen müssen. Nebenjob, Studium, Band, dass machen wir alle gleichzeitig. Und es wird immer schwieriger, weil ESCAPADO immer mehr Zeit für sich beanspruchen. (überlegt) Wir wissen noch gar nicht, in welche Richtung das bei uns gehen wird. Auf der einen Seite wollen wir die Band nicht aufgeben, weil wir voll dahinterstehen, aber es ist auch völlig illusorisch zu sagen, „immer nur Mucke und nichts anderes“. Sonst stehen wir mit Sicherheit später auf der Straße. Jeder der ein bisschen ernst denkt, kann das auch nicht unterstützen, „ok, soll´n die doch“. Aeroegramme, JR Erwing…ich kann das völlig nachvollziehen! Das Problem ist, dass man mit Musik in Zukunft einfach immer weniger verdienen wird, obwohl es sicher ein Sektor ist, wo die Leute mit am meisten Herzblut hineinstecken. Es scheint schon fast uncool zu sein Platten zu kaufen oder eine Band wirklich zu unterstützen. ESCAPADO kennen mit Sicherheit viel mehr Menschen, als das wir Alben verkaufen oder Leute zu unseren Konzerten kommen.
Christoph: Wir haben zum Beispiel mal für ein Konzert in München ganz viele Nachrichten und Mails bekommen und dachten, dass der Laden jetzt auch richtig voll werden würde. Aber dann war gar nicht viel los…

(inzwischen hat Sänger Helge den Raum betreten und folgt den Ausführungen der beiden)

Sebastian: Es fragen sich eigentlich alle, wie es weitergehen soll, weil sich das Musikgeschäft in den letzten drei Jahren extrem verändert hat. Die Visions hatte ja gerade einen Titel dazu. Früher ist man auf Tour gegangen um Werbung für die Platte zu machen und heute macht man ne Platte, damit man auf Tour gehen kann, weil man mit dem touren Geld verdienen muss. „Geld“ in Anführungsstrichen, weil man ja noch Bus, Miete und alles Mögliche bezahlen muss und außerdem soll die Konzertkarte für ESCAPADO auch bei unter acht Euro liegen. Es gibt da im Moment eigentlich gar keine richtige Lösung, dass die Leute wieder mehr Geld ausgeben und die Bands unterstützen…weil man ja alles umsonst kriegt. Und das ist das Grab für Bands wie uns. Irgendwann gibt es nur noch ein paar große Bands, bei denen einfach die Promo und das Geld stimmt und die es einfach machen können, und ganz, ganz viele kleine Bands; die immer einen guten Song machen, es genau zu einer Platte schaffen, die sehr jung sein werden und sich dann Mitte zwanzig auflösen werden, weil sie es nicht mehr packen. Wir sind da gerade auf einem guten Weg drauf zu, weil es niemanden stören wird, weil es immer ganz, ganz viele Leute geben wird, die Musik machen, die dann aber immer auf einem bestimmten Level abbrechen müssen und ganz schnell Weg vom Fenster sind. So ist es ja schon: Es gibt viel mehr Bands, aber auf Albumlänge immer weniger Qualität, sondern immer mehr Einzelhits. Ich kann mir diesen ganzen Bandnamen und Songtitel schon gar nicht mehr merken, die man nach einem halben Jahr eh wieder vergessen hat. Es gibt es kaum noch, dass man wirklich hinter einer Band steht und die dann auch unterstützt, auch in schwierigeren Zeiten.

MOG: Wann seid ihr denn mit eurem Studium fertig?

Sebastian: So Ende nächsten Jahres…

MOG: Spätestens dann stellt man sich doch die Frage, wie es mit ESCAPADO weitergehen soll?

Sebastian: Wir haben das intern schon beschlossen. Es ist absehbar, dass – wenn wir das Level halten wollen – es nicht mehr so weitergehen kann.
Helge: Wir haben geplant, dass wir erst einmal unser erstes Staatsexamen machen und uns dann nicht gleich für´s Referendariat bewerben, sondern erst einmal etwas Zeit für ESCAPADO verwenden.
Sebastian: Ich hoffe auf jeden Fall, dass wir noch eine dritte Platte machen! Auch wenn es absehbar ist, genießen wir die Zeit gerade sehr intensiv, vielleicht gerade weil wir wissen, dass es bald vorbeisein kann.
Helge: Wir haben eben ein Interview gegeben, indem wir gefragt wurden, wo wir uns in drei Jahren sehen…da habe ich einfach gedacht, „hmh…hoffentlich gibt es uns dann noch.“
Sebastian: Ich sehe diese ganze Entwicklung sehr negativ. Wenn sich keiner ändern wird, wird die Musik den Bach runter gehen. Die Leute denken kurz nach, haben vielleicht den guten Willen, aber in Wirklichkeit werden sie sich nicht ändern! Sie werden sich nicht ändern…

Der Veranstalter steckt den Kopf herein: Wir machen jetzt zu!

MOG: Das ist ok, weil ich euch eh nur noch eine Frage stellen wollte: Und zwar wird in vielen Kritiken und auch jetzt in der Visions darauf abgehoben, dass ihr eine wütende, verzweifelte Gruppe seid, die sich „ihren Frust herausschreit“. Ich persönlich finde ja, dass eure Musik mitnichten nur negativ klingt und es durch aus „Hoffnungsmomente“ gibt.
Ist es so, seid ihr die kritische Denkerband oder habt ihr nicht einfach nur Spaß am Musikmachen? Ihr werdet sehr oft nur als negative Band dargestellt.

Sebastian: Wir sind schon sehr selbstkritisch und bedacht, aber natürlich verlieren wir nicht den Spaß an der Musik. Bei der „H.d.S.“ haben wir gemerkt, dass da sehr viele wirklich negative Stücke drauf waren. Daher hatten wir auch bei der neuen Platte beschlossen, dass wir mehr Hoffnung hineinbringen wollen, auch für uns selber. Wir wollen einfach ehrliche Musik machen und so ist das Leben ja auch: Es gibt positive und negative Sachen, die wir in unsere Musik einbringen wollen. Ich glaube wir haben immer noch einen leichten Hang zu – nicht negativen – aber eher melancholischeren Ebenen, weil das Musik immer gut darlegen kann. Wenn ich mir die Stücke ausdenke, bin ich einfach eher in einer Phase, wo ich eher nachdenklich bin; wenn ich eher fröhlich bin, bin ich bei Freunden und freue mich.
Helge: Dass da jetzt auch mal Texte dabei sind, die sehr verzweifelt sind, dass heißt ja auch nicht, dass man keinen Spaß bei der Musik oder den Konzerten haben kann. Ich weiß nicht…man wird dann immer so gleich in eine Schublade gesteckt, als jemand der nur schwarz malt: Alles ist schlecht, alles ist böse. Trotzdem gibt es immer Zeiten, die man genießen kann, wo man nicht immer alles gleich hinterfragt, sondern den Moment genießt.

(Jan)

www.myspace.com/escapado
www.escapado.com

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2 Kommentare auf "Grand Hotel und trotzdem DIY!"

  1. Fernseherin sagt:

    Wann haben die denn bitte mal im Kreuzberg gespielt? Kann mich nur an ein Juzikonzert mit confronto vor zwei Jahren oder so erinnern.

  2. John K. Doe sagt:

    am 16.12. im JUZI – ankündigung und ein paar gedanken zum hier vollmundig vertretenem d.i.y.-anspruch und über notwendigkeit des business findet ihr !

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