Tom Tonk und 34 Schallplatten
von am 11. November 2007 veröffentlicht in gelesen, Rezensionen, Texte

„Über Musik schreiben ist wie zu Architektur tanzen“, ein oft gewähltes Zitat, wenn sich der ein oder andere Rezensent schüchtern für sein Werk entschuldigen mag. Welch eine kolossale Fehleinschätzung. Welch unnötiges Konstrukt, wenngleich ich die Vorstellung tanzender Architekten nicht ganz verwerfen möchte.

Natürlich kann man über Musik schreiben. Man kann sogar ganz hervorragend über Musik schreiben und zwar besonders dann, wenn man die Fähigkeit besitzt das Ohr, das Auge und den Stift (meinethalben auch die Tastatur) über den Rand der Platte hinaus zu werfen. In einer guten Rezension, oder in einem guten Text über Musik, muss ausgerechnet diese nicht unbedingt die erste Geige spielen. Das wäre todlangweilig und interessiert eh keine Sau. Tom Tonk scheint genau das begriffen zu haben und verschont uns mit langweiligen Texten, die ungefähr referieren, dass die erste Platte ja viel besser war und alles andere eben Scheiße. Nun, mit Abstufungen. Denn wenn es zumindest um AC/DC geht, gibt es kein vertuen. Nach Bon Scott war bei AC/DC alles anders, wie Tonk so schön schreibt. Des Pudels Kern ist, dass Tonk damit AC/DC völlig ausreichend abgehandelt hat und uns nun mit einer Unmenge Nebeninformationen beschenkt. Lebensweisheiten, die sich Tonk hart erarbeitet hat, mit viel Alkohol und der ein oder anderen Dame.

Ist es Adamo, sind es Social Distortion oder Snuff – Tom Tonk garniert in seinem neuen Buch „Raketen in Dosen. 33 1/3 Platten für die Ewigkeit“ Musik mit krudesten Erlebnissen. Geschrieben von einem Mann, der nicht nur Whskey mag, der dem MSV Duisburg treu ist und sich schon mal das Wort „Pommes“ mit Tippex auf den Schirm der Mütze kritzelt. Biografische Plattenkritik nenne ich das. Denn endlich geht es mal um mehr und das macht „Raketen in Dosen“ so lesenswert. 34 Platten hat Tom Tonk gehört und jede Platte verbindet sich mit irgendeinem Erlebnis. So erfahren wir letztlich viel essenzielleres, zum Beispiel wie man einen Zahnarzt sucht, wie Punk langweilig sein kann und wie Punk durch „miese Frisuren und Schlabberklamotten“ seine Sprengkraft verloren hat und erleben die Poetik des Braunschweiger Bahnhofs. Immer wieder werden wir informiert über die Wechselwirkungen von Alkohol und Baggerei, um die mannigfaltigen Möglichkeiten beim anderen Geschlecht auch mal, eigentlich meistens, komplett zu versagen. Und dabei gibt es immer wieder Querverweise auf den passenden Soundtrack. Kein Wunder, wenn man quasi zwischen Platten aufwächst. Tonk dabei zu begleiten ist eine Riesenfreude, immer in einem ganz echten, weniger satirischen und schon gar nicht zynischen Ton, sondern immer – ja, irgendwie „to the bone“. Sympathisch kantig, gelungener Wortwitz – eine Mischung, die hier ständig stimmt.

Mit „Raketen in Dosen“ setzt sich nun Tom Tonks Autorschaft fort. Der Rock-Fan hat bereits einiges auf dem Kerbholz. Seine musikalische Biographie reicht über Bands wie „Jimmy Keith and his Shocky Horrors“ hin zu „Rent a Cow“ und damit zumindest in die Nähe, der durchaus satirischen Deutschpunkgröße Eisenpimmel, für die er, wie er in einem Interview angab, „Gag-Schreiber“ ist. Tonk schrieb lang eine Kolumne mit dem Titel „Raketen in Rock“ für das Ox und gab das meiner Ansicht nach essentielle Fanzine „Hulaballoo“ heraus. 2002 veröffentlichte er zusammen mit Zepp Oberpichler das Buch „Die Stones sind wir selber“, eine flockige Ruhrgebietsgeschichte über die 60er Jahre und den Beat-Wahn. Die Message des Buches: „Die „Zieh mit deiner Sippe hierhin, kauf dir eine Zeitmaschine und beam dich in den nächstbesten Saalbau, aber flott!“. „Raketen in Rock“ folgte 2004, ganz im Stil der Kolumne und nun eben die Fortsetzung – „Raketen in Dosen“.

„Raketen in Dosen. 33 1/3 Platten für die Ewigkeit“ ist im Verlag Salon Alter Hammer erschienen.

Tom Tonk liest am Freitag den 16.11. im Juzi. Im Anschluss an die Lesung gibt es den Film „The Decline of Western Civilization. Part II: The Metal Years“ zu sehen. Beginn 20 Uhr im Juzi Café (oben). Mehr zum Film hier.

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