MTV is killing me?!
von am 30. Oktober 2007 veröffentlicht in Musik, Texte

Eine Frage des Geschmacks?
Unter Menschen, die sich für kulturell auf der Sonnenseite zu wissen scheinen, gibt es immer so kleine Totschläger. Zwecks Abgrenzung bezieht man sich unübersehbar für die Umwelt auf das Buch, man verflucht das Fernsehen und listet höchstens das Kulturprogramm irgendwelcher Dritter in das eigene Ertragbare der Fernsehwelt. Und schon gar nicht MTV! Das ganze schlägt einem so umfassend in dem einen oder anderen Kreis entgegen, dass es nicht mehr als eine Floskel ist, ungefähr so brauchbar wie ein Kropf. Dabei ist das Medium des Videos an sich alles andere als zu verfluchen. Manch geachteter späterer Regisseur hat hier erste Schritte gewagt und keine Frage, es gibt eine ganze Menge fantastischer Videos, die in einer eigenen, ernsthaften Kunst- und Ausdrucksform bestehen. Und nun gibt es eine neue Kampagne: „MTV is killing me“ und trotz des bekannten Angriffs ist sie erfrischend anders.

Geschichte.
MTV wurde am 01. August 1981 gegründet. Ein Novum damals – zumindest in den U.S.A.! Eine völlig neue Art des Umgangs mit Musik, für manche heute prägend für eine Epoche. Gegründet wurde der Sender von Michael Nesmith und John Lack und es ist vielleicht nicht unwichtig zu wissen, dass Nesmith vorher in der Band The Monkees spielte. Eine der frühen Casting-Bands des fröhlichen Beat-Wahns. Der Sender war nicht Ergebnis einer Idee, sondern auch der Rentabilität. Im Schacher um eine größere Sendeanstalt brauchte es gewinnbringende Formate, Spartenprogramme also. Dies alles lag in den Händen von Warner Bros., einem der großen Player im Unterhaltungsbusiness und, das mag überraschen: American Express. Die Ansprüche an das Medium drifteten bald auseinander und zeigen bereits früh die Problematik von Musikfernsehen. Sahen es einige als erweiterte, als höhere Kunstform von Musik, rochen andere vor allem eine verkaufsträchtige Erweiterung der Plattform. Eine Plattform, die sich durchsetzen konnte. MTV produzierte gewissermaßen Stars in der 80ern.

Wie VIVA eine Chance versenkte.
Auf dem deutschen Markt hatte VIVA (Abkürzung des wenig jugendlichen Terminus „Videoverwaltungsanstalt“) 1993 den Betrieb aufgenommen. Während MTV Europe zu diesem Zeitpunkt ein englischsprachiges Programm hatte, konnten die Kölner mit ihrem deutschen Programm schnell Punkten. Und VIVA hatte fast die Chance an Wurzeln zurückzukehren, die man in früher Zeit MTV im Auge hatte – die höhere Kunstform. MTV versank schnell im industriellen Kleister. VIVA hatte einige Jahre später ein Programm mit dem Namen VIVA Zwei entwickelt, dass sich tatsächlich unterschied! VIVA Zwei war ein Musiksender, der seinen eher jugendliche Zielgruppe tatsächlich zu bedienen wusste ohne in völligen Anspruchslosigkeit des großen Pop zu ersaufen. Vielen erschien es damals als völlig unverständlich, dass ausgerechnet dieses Format platt gemacht wurde, zugunsten eines von Anfang an zum Scheitern verurteilten und ausserordentlich jämmerlichen Programms namens VIVA Plus. Konsolidierung nennt sich das, kurz gesagt: Es ging mal wieder ums liebe Geld. Aber das ist ja nun auch nichts neues. Den Rest können wir kurz zusammenfassen. Danach ging es steil bergab, 2004 wurde VIVA von Viacom gefressen und gehörte damit quasi zu MTV. Klingeltöne gab es damals schon. Und noch kürzer gesagt: Man hatte es geschafft die Idee sang- und klanglos zu Grabe zu tragen. Was Musikfernsehen heute im großen und ganzen ist, das ist bekannt. Im großen und ganzen doch ein Deppenprogramm, in dem man vornehmlich U.S.-amerikanische Ramschformate einkauft, in denen reichlich billig produziert zum Beipiel fünf Vollidioten in einem Bus durch die Gegend gekarrt werden um einer meist nicht weniger minderbelichteten Meid den Hof zu machen. Dazwischen gibt es Klingeltöne für Pickelgesichter. Die kaufen nämlich keine Platten mehr, dafür aber Klingeltöne im fetten Midi-Sound. Mutti und Vati ramponieren sich am Nervenzusammenbruch, wenn der Spross die Handyrechnung auf den Küchentisch legt.

Das Imperium schlägt zurück.
Am 1. November wird sich in München das versammeln was, ausgelesen durch die Industrie, mit einem schönen Preis versehen werden darf. Dazu werden allerlei Künstler über die Bühne geschmissen um ihre mehr oder weniger notwendigen aktuellen Singles zu, so sagt man das, performen. Amos wird wohl nicht dabei sein. Amos hat im nun fast vergangenen Jahr eine bemerkenswerte Platte aufgenommen, die irgendwo zwischen heute und dem Pop der 80er verhaftet ist. Der selbsternannte „Imperator of Pop“ bezieht sich musikalisch durchaus auf den „King of Pop“, der heute ein Schatten seiner selbst ist – und übrigens selbst ein Kind von MTV! Das passt, denn Amos ist einer der kompromisslosesten und zweifellos interessantesten Künstler momentan. Musikalisch jenseits der Norm. Seine Bezugspunkte sind keine Neuheiten, nur schafft es Amos, das alles in einer Art und Weise umzusetzen, die ihn durchweg von peinlichem Kult des schlechten von gestern befreit. Konsequent steht er in den oben genannten Wurzeln, zwinkert mit dem Auge und betreibt das, was er macht trotzdem mit höchster Authentizität. Ein Rezept wie gemacht für die Verwertung im großen Geschäft, dem sich Amos jedoch von Anfang konsequent entzieht. Seine LP „Imperator of Pop“ erscheint auf dem Underground-Label Sounds of Subterrania, ein hoch aufwendiges Release, dass seines gleichen sucht.

Zurück zu den Wurzeln!
Amos steht hinter einer Kampagne mit dem Namen „MTV is killing me“ die dieser Tage gestartet wird. Das bemerkenswerte an der Kampagne ist, dass hier nicht gegen das Medium per se gewettert wird, vielmehr protestiert Amos gegen den Verfall des Mediums hin zu einem Klingelton-Kanal.

„Ich kann die Vergeschmacklosung der Unterhaltungsindustrie nicht kommentarlos hinnehmen. Das permanente Streben nach Wirtschaftlichkeit und die Kurzsichtigkeit der Funktionäre macht relevante Inhalte scheinbar unrentabel.“

Heißt es in der Presseerklärung. Selbst Musiker und Videoregisseur setzt Amos am Zuschauer an, der für blöd verkauft wird – dem ein anspruchsvolles Musikfernsehen quasi genommen wird, zugunsten rentablen Single-Mülls und bescheuerten Klingeltönen. Aberziehung eines Handwerks! Und auch die Alternativen, die sich mittlerweile auf Videoforen wie YouTube häufen, machen die Situation für Amos nicht besser. Dilletantismus kann nie Qualität ersetzen. Amos Protest ist die Kampagne, benannt nach seinem Song „MTV is killing me“. Die Single kann man sich kostenfrei auf Amos’ Homepage herunterladen und wenn man Gratis-Download Charts glauben kann kommt diese Message an! Es ist auch nicht uninteressant, dass Steve Blame, selbst ehemaliges MTV-Urgestein sich ein motiviertes „How fantastic is that!“ nicht verkneifen konnte.

MoG wird die Kampagne weiter verfolgen, Amos wird demnächst ein kleines Feature hier erhalten, dann werden wir ihn fragen, was aus der Kampagne geworden ist.
Mehr zu „MTV is killing me“ hier!

Artikel teilen

Schreibe einen Kommentar

Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar zu schreiben. Anmelden | Registrieren

Bitte lese dazu unsere Regeln und Hinweise zum Kommentieren.