Parteibasis stellt sich gegen Führungsspitze – über den Sonderparteitag der Grünen in Göttingen
von am 17. September 2007 veröffentlicht in Politik

Jürgen Trittin ist Grüner Bundestagsabgeordne ter aus Göttingen, war schon mal Umweltminister und möchte nach der Wahl 2009 gerne Außenminister werden. Er hat es geschafft, den Grünen Sonderparteitag zu Afghanistan nach Göttingen zu holen und wollte so kräftig die Werbetrommel für seine Kandidatur rühren. Statt aber die neue Linie seiner Partei vorzugeben, erlitt Trittin eine herbe Niederlage: Sein Versuch, sich als Afghanistanexperte zu profilieren, scheiterte an einer Stimmung, die für Fakten wenig, für Ressentiment und gutes Gewissen aber umso mehr Raum bot.

Die Stimmung auf dem Parteitag wurde schnell deutlich: Kaum hatte sich Parteichef Reinhard Bütikofer am Rednertisch aufgestellt, machte sich eine Gruppe Kriegsgegner auf den Weg Richtung Tribüne. Sie skandierten, deutsche Waffen und deutsches Geld mordeten mit in aller Welt – und erhielten dafür Applaus von einem guten Teil derjenigen, die sie mit ihrem Sprechchor eigentlich meinten. Als Sicherheitsleute die Demonstranten freundlich aus dem Saal bugsieren wollten, wurden sie von Delegierten zurechtgewiesen, sie sollten doch die Menschen in Ruhe lassen; die dürften ja wohl noch ihre Meinung sagen. „Tornados? Nein Danke!“ – dieser Anstecker im klassischen 80er-Jahre-Design war bei der Parteibasis ebenso beliebt wie bei den Gegnern der Partei. Solche Episoden beleuchten den Spagat, den der Parteitag versuchte. Die Führung einerseits gab sich staatsmännisch und wollte den Eindruck erwecken, jederzeit bereit zu sein für eine Rückkehr in die Regierung.

Die Basis hat dagegen wieder Spaß gefunden am Dasein als Protestpartei und führte sich auf als seien die Grünen nach wie vor die Speerspitze einer pazifistischen Massenbewegung. Diese Basis, genauer 44 Kreisverbände, hatten den Göttinger Parteitag erzwungen, nachdem Teile der Bundestagsfraktion im Frühjahr dem Einsatz von Aufklärungstornados in Afghanistan zugestimmt hatten. Auch wenn die Bundestagsabgeordne ten grundsätzlich frei sind in ihrer Entscheidung, sollte der Parteitag ihnen für die nächste Abstimmung im Herbst ein Mandat mit auf den Weg geben. Unklar war nur noch, wie dieses Mandat aussehen würde. Die Grüne Führung wollte unbedingt eine Zustimmung zum Bundeswehreinsatz haben, da sie dies als Voraussetzung dafür erkannt hat, außenpolitisch als zuverlässig zu gelten. Um dafür auf dem Parteitag eine Mehrheit zu bekommen, legte sie das rhetorische Gewicht ihres Leitantrags auf den sogenannten „Strategiewechsel“ : Verdoppelung der Gelder für den zivilen Wiederaufbau, Absage an die von den USA geleitete Operation Enduring Freedom (OEF) und eine engere Zusammenarbeit mit der afghanischen Gesellschaft. Das Ganze, und soviel glaubte die Parteispitze dann doch durchsetzen zu können, verbunden mit einem Ja zu ISAF-Schutztruppe.
Zwei Faktoren waren es, die diese Strategie schließlich zu Fall brachten: Zum einen hat die Große Koalition inzwischen durchgesetzt, dass im Bundestag ISAF-Mandat und Tornadoeinsatz gemeinsam abgestimmt werden; und dem Tornadoeinsatz wollte der Parteitag auf keinen Fall zustimmen. Zum anderen war der pazifistische Flügel in Göttingen derart stark, dass viele selbst vom ISAF-Mandat allein am Ende nichts mehr wissen wollten. Hans-Christian Ströbele, der Wortführer der Pazifisten, erklärte den vom Bundesvorstand so betonten Unterschied zwischen ISAF und OEF für nichtig: „Viele Kampfeinsätze werden schon lange nicht mehr von OEF-Einheiten durchgeführt, sondern von ISAF-Truppen, die ja auch gemeinsame Oberkommandierende haben. Das kann man heute gar nicht mehr trennen, das ist praktisch eine Armee.“
Große Teile des Parteitags waren ähnlicher Einschätzung und erhoben sich zu Stehenden Ovationen, als der Delegierte Jörg Rupp im blauen T-Shirt mit Friedenstaube seine Forderungen stellte: „Wir brauchen einen Plan für den Rückzug der ISAF-Truppen und müssen der afghanischen Bevölkerung deren Aufgaben übertragen. Und wir brauchen einen sofortigen Rückzug der Tornados, weil sie Teil der US-amerikanischen Strategie sind, die Bundeswehr in ihren Krieg gegen die afghanische Bevölkerung zu integrieren. “

Dass man von der Bevölkerung in Afghanistan sprechen kann, und dass der Krieg gegen die Taliban auch einer gegen die Bevölkerung ist, darüber herrschte fast Einigkeit auf dem Parteitag. Überhaupt schienen die Djihadisten nicht das Problem der meisten Delegierten zu sein, sondern diejenigen, die gegen sie kämpfen. So erklärte ein Delegierter unter dem Applaus seiner Zuhörer Bombenanschlä ge auf gemischtgeschlechtl iche Schulen mit den westlichen Soldaten, die solche Schulen bewachten.

Daniel Cohn-Bendit erntete dagegen Buhrufe und Pfiffe als er versuchte, diese Sichtweise zurechtzurücken: „Es gibt nun mal die Kräfte, die Afghanistan zum Homeland des Terrorismus gemacht haben. Sie bekämpfen jeden Wiederaufbau, der auf eine demokratische Struktur hinarbeitet. Das ist die Realität, mit der wir dort konfrontiert sind.“ Von dieser Realität aber wollte kaum jemand etwas hören. Viel lieber blickten die meisten Delegierten durch eine Brille, die die politischen Kräfte in Afghanistan rosa einfärbt, das westliche Militär dagegen tief schwarz. Entsprechend fiel dann auch der Leitantrag aus, den der Parteitag zur Zukunft Afghanistans verabschiedet hat. Claudia Roth sagte nach dieser Abstimmung zwar, der Beschluss beinhalte das vom Vorstand erwünschte Festhalten am ISAF-Mandat, das ist aber höchstens die halbe Wahrheit. Tatsächlich unterstützt der Antrag die ISAF-Mission nur noch, wenn die OEF beendet wird und die Bunderegierung ihre Tornados zurückzieht.

Deutlicher in seiner Ablehnung der bisherigen Grünen Politik wird der Antrag bei dem, was er den Friedensprozess nennt. In Bezug auf den Staatsaufbau schlagen die Grünen jetzt eine neue Friedenskonferenz vor – nicht mehr mit den bisherigen Verhandlungspartner n, sondern „mit allen relevanten, tatsächlich Macht innehabenden Fraktionen – auch Warlords und Taliban.“ Das ist dann die Quintessenz der neuen grünen Friedenslinie: Um den Krieg in Afghanistan zu beenden, wollen sie sich mit den Warlords an einen Tisch setzen, die ihre Macht und ihren Reichtum allein diesem Krieg zu verdanken haben. Und sie wollen mit den Taliban jene Fraktion zu Gesprächspartnern machen, die nicht nur die besten Verbindungen zu Al-Quaida besitzt und sich mit der Entführung und Ermordung von Aufbauhelfern hervortut, sondern die auch der Hälfte der afghanischen Bevölkerung das Lesen, Lernen, Arbeiten und Hautzeigen verbieten will.

Die Bundestagsabgeordne ten der Grünen sind an diese Beschlüsse nicht gebunden, laut Gesetz haben sie bei den Abstimmungen nur nach Gewissen zu entscheiden. Trotzdem bedeutet das Votum des Parteitags für sie einen gewaltigen Druck: „Die wollen ja auch wieder aufgestellt werden“ frohlockte der Delegierte Jörg Rupp. Besonders Jürgen Trittin steckt in der Falle – es seiner Partei recht machen und sich einem möglichen Koalitionspartner als Außenminister empfehlen, das ist nach den Beschlüssen des Göttinger Parteitags zur Seiltanznummer geworden.

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Ein Kommentar auf "Parteibasis stellt sich gegen Führungsspitze – über den Sonderparteitag der Grünen in Göttingen"

  1. pappkameradin sagt:

    Um die Koalitionsfähigkeit braucht sich die Partei(-spitze) denk ich nun wirklich keine Sorgen zu machen. Dass solche in Oppositionszeiten für den Mainstream unflätiges Auftreten demonstriert wird, hat die Grünen in den letzten Regierungsbeteiligungsperioden nun wahrlich nicht daran gehindert, allen moralisch-fundamentalistisch aufgeblasenen Ballast abzuwerfen, wenn es die Regierungsfraktions-Räson einmal wieder verlangt. Das weiß doch auch die SPD, und vielleicht entdeckt ja auch die CDU bald mal, dass der ganze linke Klimm-Bimm sich längst in ein öko-liberales Projekt mit moralisierendem Toleranz-Anstrich gewandelt hat.
    „Emanzipatorische Linke“ wird man das jedenfalls auch nach diesem Parteitag nicht nennen dürfen. Ernsthaftes Engagement gegen rassistische Strukturen (etwa das rot-grüne „Zuwanderungsgesetz“), Geschichtsrevisionismus (Deutschland als Kriegsstaat nicht trotz, sondern gerade wegen Auschwitz – Fischer et. al.), Sozialabbau (wem Hartz’s im ALG?) oder auch eine Antikriegspolitik, die sich vom Antiamerikanismus zu unterscheiden weiß (die einzige Friedenspolitik, die die Grünen hinbekommen haben, war ja weder glaubhaft noch emanzipatorisch. Gegen die USA zu wettern, während die eigenen Bomben fallen, mag solzen Deutschen gefallen, Linken sollte das nicht) muss wohl weiterhin von weiter links kommen. (Und damit meine ich jetzt nicht das von Anfang an unbrauchbare Projekt mit dem dreisten Namen „die Linke“).

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