Unterbewertet oder vergessen – Aus John K.’s Plattenkiste. Teil 1: Piebald.
von am 12. April 2007 veröffentlicht in Gespräche, Musik, Platten

Heute:
Piebald „If It Weren’t For Venetian Blinds It Would Be Curtains For Us All”

Wer zur Hölle ist eigentlich Marcus Garvey? Und wer bitte heißt Assata Shakur? Ich kenne nur Tupac Shakur. Und der ist Tod. Aber bevor wir uns dieser Frage zuwenden, kommen wir zu etwas ganz anderem.
Rock’n’Roll ist scheiße. Er hat oft schlechte Manieren, viele seine Kinder sind missratene Vollidioten, und zu allem Überfluss hat Rock’n’Roll ein leider nur dürftig ausgestattetes Gedächtnis. Es ist wie so oft, wenn man Ostern, oder an den Heiligen Drei Königen mit den Lieben beisammen sitzt und sich die Dias der vergangenen Jahre ansieht. Dann sieht man bei Keks und Kuchen plötzlich die doofe Tante Marta, die immer nur in die Backe gekniffen hat, während sie einen blöd anglotzte, und ihr Erbe später einer karitativen Organisation zur Verfügung stellte. Einen Menschen, den man nachträglich noch mit Elan hasst. Die Coolen Leute, Onkel Rainer, der auf der Hochzeit in die Torte kotzte, solche Leute tauchen nirgends auf. Genau so verhält es sich leider auch oft mit Schallplatten im Rock’n’Roll Gedächtnis. Immer wieder müssen sich die Ohren an Pein und Qual erinnern, welche Massen von Vinyl verschwendet wurden. Dies sind die Momente, in denen sich bei mir ein ganz besonders starkes ökologisches Bewusstsein zeigt. Oft liegt es aber auch daran, dass man, sagen wir erst nach 1993 geboren wurde, und deshalb einen ganzen Teil lebensnotwendige Tonträger verpasst hat. Das ist alles nicht schlimm, denn wir holen gemeinsam nach. In den nächsten Monaten soll in einer kleinen Serie an 10 absolut notwendige, unterbewertete oder fast vergessene Platten erinnert werden. Wenn ihr euch also gerade in der Situation befindet, euch bei irgendwem mit einem abgedroschenen Mixtape anzubiedern, dann lest und lernt!
Und damit wären wir schon wieder bei Marcus Garvey und Assata Shakur angelangt. Irgendwann im Jahr 1999 habe ich irgendwo „If It Weren’t For Venetian Blinds It Would Be Curtains For Us All” von Piebald gekauft. Ich kann mich noch genau erinnern. Mir gefiel der Name der Platte, den Namen der Band hatte ich irgendwo schon mal gehört – und wahrscheinlich hatte irgendein Idiot im Halbwissen felsenfest behauptet Piebald wären eine großartige Band. Wer immer dieser Idiot gewesen ist, er hatte recht. Ich kaufte die Platte nämlich gleich zweimal. Das zweite Mal um sie meiner damaligen Freundin Amelie Schmiemann* zu schenken. Nach ein paar Jahren Beziehung war ich zu faul noch Energie in Mixtapes zu stecken. CD’s brennen konnte ich damals nicht, und so erschien es einfacher Geld für Platten auszugeben um sich so Zuneigung zu erkaufen. Ich erinnere mich noch genau wie ich die Folie, in welche die Platte eingeschweißt war, mit irgendeiner peinlichen Scheiße vollkritzelte. Wahrscheinlich tat ich bei der Übergabe so bedeutend, als wenn ich den Nobelpreis übereichen würde. Und zur Hölle, wenn die gute Amelie so etwas wie Geschmack besitzt, dann sollte sie sich zumindest heute noch an diesen erwürdigen Moment erinnern. Wahrscheinlich ist das nicht der Fall. Auf alle Fälle bewies ich mit dem Geschenk absoluten Geschmack. Zwei Jahre nach der Trennung fand ich die Platte in irgendeinem Regal und habe sie verschenkt. Ich hatte ja meine eigene, und ich bildete mir ein, dass diese cooler wäre.
Piebald waren einen von den Bands, die halb selbst mitbegründend und halb einfach rechtzeitig auf den Zug aufspringend, dass mit einleiteten, was heute in unsäglichem Radio-Emo in Bedeutungslosigkeit verschwindet. Ich meine damit nicht die albernen schlecht frisierten Kajalkaiser, die sind ein trauriges Kapitel für sich. Piebald gehörten zu den Bands, die gerne aus dem mittleren Westen der USA kommend, bald vom Cover des Visions heruntergrinsen durften, um im Heft selbst dann von todlangweiligen Fragen geplagt zu werden, die sich irgendein Schwachmat ausdachte, auf dessen Visitenkarte „Musikjournalist“ oder sowas stand. Und soviel können wir schon mal vorweg nehmen, Piebald nahmen ein ganz ähnliches Ende wie viele dieser Bands – sie sollten in Bedeutungslosigkeit verschwinden, aber dazu später mehr. Piebalds Wurzeln waren Hardcore in seiner schönsten Form. Die Band releaste erstmal selbst eine 7“, dann, 1997, gab es eine erste LP auf (Achtung) Hydra Head Records, welches sich schon damals anschickte eine Art enfant terrible zu werden was großartige Releases angeht. Big Wheel Recreation kommt jedoch die Ehre zu “If It Weren’t For Venetian Blinds It Would Be Curtains For Us All” veröffentlicht zu haben. Meine Güte – was für eine Platte. Piebald entwickelten hier einen ganz eigenen Charme, den sie über die Jahre bis heute leider nur noch mit Mühe halten konnten. Die Band ging interessante Wege was die Texte anging – diese waren genial bescheuert. Man erfuhr einiges über die Bewässerung von Kakteen, sie waren in ihren Texten gerne selbstreferenziell und glänzten mit Weisheiten wie: „Well, life is a bitch. And life is a beach.“ Ich konnte da jedenfalls nur „Ja“ sagen. Piebald gelang es auf der Platte einfach runde, schöne Songs zu schreiben, die krachig produziert waren. Im Studio schien es keine Bügeleisen zu geben. Alle Songs irgendwie herrlich naiv und genial zugleich, und alle besaßen irgendwo in der Mitte mindestens eine Gitarrenminiatur, die fast schon pervers dazu auforderte, dieselbe Stelle sofort noch mal (und noch mal, und noch mal) zu hören. Der Sänger wirkte, als wenn er per Zufall an den Job kam – und gab dem verschmitzten Witz der Band die entsprechende Lässigkeit.
Garvey war übrigens etwa 1914 einer der Wortführer der Back-to-Africa Bewegung in den Vereinigten Staaten. Assata Shakur war Aktivistin der Black Panther und der Black Liberation, und hat einen nicht unwesentlichen Teil ihres Lebens hinter schwedischen Gardinen verbracht. Und beide sind Teil des wohl herausragendsten Songs der Platte, welcher nun als erster aufs Mixtape sollte: „If Marcus Gravey Dies, Then Marcus Garvey Lives“. Immer und immer wieder holen Piebald hier Teile aus der Songtruhe, um sie nur einen Tick anders erneut aufzutischen, und hier gehören Piebald zu den ganz wenigen Köchen, die diese Rezeptur mit absoluter Perfektion beherrschen. Ein Song der zur Hölle nicht langweilig werden will.
Und dann? Danach brachten Piebald noch eine großartige 10“ heraus, auf dem ein Lied unter Anderem David Lee Roth („David Lee Rock“) völlig zurecht gewidmet war. Und dann? Danach wurden Piebald im Wahn von einem Submajor gesigned, und „entwickelten sich weiter“. Dabei blieben Piebald durchaus solide, sie behielten durchaus Charme, sie hatten ihre Hits, aber eine Scheibe wie „If It Weren’t For Venetian Blinds It Would Be Curtains For Us All” ist ihnen leider nicht mehr gelungen. „Accidental Gentleman“ heißt Piebalds aktuelle LP. Solide und gut und etwas langweilig. Fast alle Mid-West-Emo Bands nahmen ein ganz ähnliches Schicksal – durchaus verdient.

*Name geändert

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2 Kommentare auf "Unterbewertet oder vergessen – Aus John K.’s Plattenkiste. Teil 1: Piebald."

  1. Rakete sagt:

    die „We Are the Only Friends We Have“ ist super, so super wie alle platten von bands, mit denen man sie lieben lernt. die danach ist so durchschnitt. die aktuelle kenne ich nicht, hat mich nach der „All Ears, All Eyes, All the Time“ auch nicht mehr wirklich interessiert. wie verhält sich „If It Weren’t For Venetian Blinds It Would Be Curtains For Us All” zu „We Are the Only Friends We Have“?

  2. John K. Doe sagt:

    Meiner bescheidenen Ansicht nach, war „All Ears….“ tatsächlich das beste was Piebald später noch zusammenbekommen haben. Auch wenn ich finde, dass diese Platte für die Entwicklung der Band sympthomatisch ist (wie im übrigen für das Genre). Mein Eindruck war und ist, dass Piebald auf der Platte irgendwie unentschlossen wirkten. „Benefits of Icecream“ war ein absoluter Verweiß auf die coolen Piebald – aber in der Summe ist die Platte zu lasch. Und je länger ich darüber nachdenke, liegt das zum großen Teil an der besseren Produktion. Es gibt Bands denen das steht, Piebald hat es nicht so gut getan wie ich finde. Und genau das ist der Reiz an „Venitian Blinds“, hier ist die frische, die ja auf „All Ears…“ durchaus vorhanden ist, mit einer raueren Produktion verbunden, und genau das führt zu dem stimmigen Gesamtbild der Platte.

    p.s.: Ich bringe hier gerade die Platten durcheinander. Also, die coolere von den späten LP’s ist die, mit dem Icecreamsong.

    p.p.s.: Habe das eben nochmal recherchiert. Es ist tatsächlich die „All Ears…“ die ich besser finde. Ich muss mir heute nochmal die „We Are The only Friends…“ reinziehen, die hat auf jeden Fall den besseren Plattentitel. Das Problem der Produltion gilt jedenfalls für alle nachfolgenden Platten.

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