[antifee] 10 Fragen an… Kurhaus
von am 9. April 2007 veröffentlicht in Antifee, Gespräche

Vom 15. bis 16. Juni findet in Göttingen das Antifee Festival auf dem Campus statt. Wir möchten euch die dort auftretenden KünstlerInnen vorstellen und präsentieren von nun an jede Woche ein Interview mit einer der Bands, in dem wir ihnen – vor Allem politisch – ein bisschen auf den Zahn fühlen. Alle bekommen die selben Fragen gestellt und den Anfang macht diese Woche Jan von Kurhaus.

Wer seid ihr, was macht ihr und warum eigentlich Kurhaus?

Wir heissen Nico, Marius, Jan, Michi und Christian, leben in Hamburg, Kiel und Berlin und spielen schon sehr, sehr lange in dieser Band. Musikalisch packen wir uns selbst immer gerne in die Schublade Hardcore, auch wenn wir wissen, dass wir musikalisch immer weniger dem entsprechen, was als gerne als Hardcore bezeichnet wird. Wir reden uns dann immer damit raus, dass wir Hardcore weniger als Bezeichnung für eine Art Musik sehen, als viel mehr als etwas Ideelles. Hardcore heißt für uns, möglichst viel selbst oder mit Freunden zusammen machen, niemals stehen zu bleiben, immer alles in Frage zu stellen und das ganze nicht als Karriere sehen. So oder so ähnlich jedenfalls.

Was war für euch bislang das Highlight eurer Musikkarriere?

Schwere Frage… Ich denke auf bestimmte Momente bezogen, könnten wir jetzt sicher so ein bis zwei Dutzend Konzerte nenne, die einfach unglaublich waren, bei denen einfach alles gestimmt hat und die etwas Besonderes waren. Wer dabei war, wird es gespürt haben. Insgesamt ist es aber sicher das Schönste, zu wissen, dass wir es geschafft haben, Songs zu schreiben, die einigen Menschen wirklich etwas bedeuten. Die Vorstellung Songs geschrieben zu haben, die Menschen zu Tränen rühren können, ist für uns immer noch surreal. Ein größeres Kompliment kann einE MusikerIn kaum bekommen.

Was nervt euch am meisten am Musikmachen? Und was treibt euch an?

Was nervt ist die Routine. Was antreibt, ist die Möglichkeit immer wieder aus dieser Routine auszubrechen. Wenn es anfängt, sich wie Arbeit anzufühlen, ist es eigentlich schon vorbei…

„Politik in einem Popsong, das bleibt immer an der Oberfläche“ haben Superpunk mal gesagt. Begreift ihr euch als politische Band und glaubt ihr, dass das funktioniert?

Psychisch Instabil haben mal „unpolitisch macht hirntot“ gesungen. Wir sind sicher nicht alle im selben Maße politisiert und haben zu manchen Dingen auch ziemlich unterschiedlich Meinungen, aber Kurhaus als Band ist ganz sicher politisch. Wir wissen, dass die HC/Punk-Subkultur auch keine bessere Welt ist, dass sie und wir auch Teil des Systems und damit des Problems sind. Aber da die allermeisten Menschen sich nicht mal bewusst sind, was das Problem ist (im Endeffekt eigentlich fast immer der Kapitalismus), ist es schon mal mehr als nichts, das wenigstens zu sagen oder raus zu schreien. Wir wollen aber sicher nicht mit erhobenem Zeigefinger dastehen und den Menschen erzählen, was sie besser machen könnten oder sollten. Das haben wir früher gemacht und es war dumm von uns. Wir können keine Antworten geben. Wir können nur Fragen stellen und das tun wir halt. Und wenn es die Möglichkeit gibt, etwas zu tun, dann tun wir das auch gerne.

Das Antifee Festival hat einen doch recht spezifischen und vor allem politischen Charakter. Wieso spielt ihr da, was gefällt euch daran?

Auf die Gefahr hin, jetzt etwas schleimerisch zu klingen, aber ganz sicher ist einer der wichtigsten Gründe für uns dort zu spielen, dass das Ganze in Göttingen stattfindet, und dass wir Göttingen gerne mögen, dort viele nette Menschen kennen gelernt haben und auch immer gerne spielen. Außerdem mögen wir es, wenn wir Teil von etwas sein können, was mehr ist als nur ein gewöhnliches Konzert, was in irgendeiner Form außeralltäglich ist. Dass es dabei noch um wichtige politische Dinge geht, ist eine zusätzliche Motivation.

Im speziellen geht es um die Kritik an Nationalismus und Sexismus. Beides sind auch Themen, die in der „Musikszene“ eine Rolle spielen. Inwiefern setzt ihr als Künstlerinnen, abseits von der kreativen Betätigung, Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen in Handlung um?

Denken und mit Menschen reden. Wir sind davon überzeugt, dass die meisten Menschen, nicht aus bösem Willen, Scheiße reden und scheiße handeln. Meist wissen sie es halt einfach nicht besser. Gewalt kann da zwar manchmal kurzfristig sehr nützlich sein, aber auf lange Sicht hilft da nur Aufklärung. Irgendwer muss den Männern einfach mal sagen, dass nicht jeder Schwule ihnen 24 Stunden am Tag in den Arsch ficken will und dass sie nicht von Natur aus klüger und besser sind als Frauen. Denen Frauen hingegen wird auch nicht gerade auf die Nase gebunden, dass es nicht ihre heilige oder natürlich Pflicht ist Nachwuchs zu gebären, den Haushalt zu schmeissen und im übrigen möglichst willige Beischlafpartnerinnen zu sein. Wenn alle Medien und alle Freund und Kollegen dir sagen, dass Deutschland total duffte ist und Nationalismus ganz natürlich, woher sollst du dann wissen, dass das blanker Unsinn ist. Dass nicht alle Polen Autos klauen, die Welt nicht von „den Juden“ regiert wird, Afrikaner einfach von Natur aus mehr Rhythmus im Blut haben und was nicht noch alles ein viel zu großer Teil der Bevölkerung in diesem Land alles glaubt und denkt… Alles, was wir als Band tun können, ist frei nach …But Alive: Scheiße Erkennen und Scheiße beim Namen Nennen!

Habt ihr das Gefühl, dass euer Geschlecht bei euerer künstlerischen Tätigkeit eine Rolle spielt? Wenn ja, wie macht sich das bemerkbar?

Natürlich spielt es eine Rolle. Schon alleine die Tatsache, dass wir alle Jungs sind, ist ja kein Zufall, sondern repräsentiert die gesellschaftliche Tatsache, dass in unserer Gesellschaft, Mädchen weniger stark dazu ermuntert werden Rockmusik oder ähnliches zu machen und wenn dann doch am Besten als dekorative Frontfrau. Auch die Art, wie wir uns und unsere Gefühle artikulieren, ist sicher von unserer Sozialisation als Männer beeinflusst. Teilweise ist diese männliche Matrix auch ganz bewusst das, wogegen wir versuchen anzugehen, sozusagen das negative Vorbild in uns selbst. Wir sind im Laufe das Jahre immer weiter davon abgekommen, auf der Bühne den starken Mann zu spielen, wie wir es von den großen Rockbands und aus dem Fernsehen kannten. Auch die Art und Weise, wie wir unsere Gefühle artikulieren widerspricht bewusst der gesellschaftlichen Norm, dass Männer stark und hart sein müssen. Es ist eine große Selbsterhaltungslüge des Patriarchats ins uns allen, dass Feminismus und Emanzipation nur Frauensache seien.

Die Musikszene ist sehr stark männlich dominiert, es gibt nur wenige Frauenbands. Was glaubt ihr, woran das liegt?

Wie schon gesagt, Jungs werden stärker ermutigt Rockinstrumente zu lernen und Bands zu gründen. Zum einen liegt das am Verhalten ihrer Eltern und Lehrer. Zum anderen fehlen ihnen aber auch die Rolemodels. Als wir dabei waren uns fürs Musikmachen zu begeistern konnten wir uns gar nicht retten vor coolen Typen auf großen Bühnen. Phil Anselmo, Kurt Cobain, Max Cavalera, Greg Graffin. Alles Typen… Da Bands wie Bikini Kill oder Team Dresch einfach nicht in den Mainstremmedien vertreten waren, blieb als Frau zum identifizieren nur Courtney Love, und bei der wurde sich größte Mühe gegeben, sie als Junkie und Nutte darzustellen. Ich denke und hoffe, das hat sich zumindest etwas relativiert. Zumindest Künstlerinnen/Bands wie Peaches, Le Tigre oder Chicks On Speed werden ja schon etwas breitenwirksamer wahrgenommen und das, obwohl sie sehr offensiv mit ihrem Geschlecht und ihrer Sexualität umgehen. Dieses Problem äußert sich ja auch nicht nur in der Musik. Es gibt genügend Statistiken, die beweisen, dass Frauen in den allermeisten Fällen und Situation deutlich besser sein müssen als Männer, um den gleichen Erfolg zu haben. Lösen lässt sich dieses Problem aber sicher nur, wenn wir irgendwann einmal von dieser dummen, konstruierten Geschlechterdichotomie wegkommen.

Nationalismus ist wieder en vogue. Das kommt auch im Musikbereich zu Tage, sei es durch Bands wie MIA, die partout nicht verstehen wollen, warum ein neues deutsches Wirgefühl zum Kotzen ist oder durch Udo Lindenberg und Konsorten, die mit einer Deutschquote den Äther von transatlantischen Musikstücken befreien wollen. Wie steht ihr zu derlei Tendenzen und was glaubt ihr, dagegen tun zu können?

Wenn sie nicht auf ideologischer Ebene so ekelhaft wäre, könnte einem die Radioquote ja am Arsch vorbei gehen, denn im normalen Formatradio läuft ja eh nur Scheiße, wobei die transatlantische Scheiße oft sogar noch etwas besser ist, als die inländische. Bei der WM letztes Jahr, war es auch so erschreckend und widerlich, wie viele Menschen aus HC/Punk/Szene/etc. Zusammenhängen voll im Deutschlandfieber waren, als hätte es weder Auschwitz, noch Rostock-Lichtenhagen, wo der Typ mit dem Hitlergruß und der vollgepissten Hose ja nicht ganz zufällig ein Trikot der DFB-Elf trug, je gegeben. Ich habe das bei meiner letzten Arbeit während der Handball-WM auch einem Franzosen erklärt, der sich wunderte, dass ich nicht für Deutschland sei. Ich sagte ihm, dass, wenn ich im Fernsehen „Deutschland, Deutschland“ oder „Sieg“-Rufe höre, dass mir dann physisch anders wird. Ich kann gar nicht anders, als daran zu denken, wie schon einmal alle ganz besonders stolz auf ihr Land waren und auch immerzu etwas mit „Sieg“ gerufen haben oder wie in Rostock, Mölln, Solingen, Hoyerswerda und an so vielen anderen Orten stolze Deutsche auf Menschjagd gingen und die Mehrheit einfach schweigend zusah… Solange wir in Nationen oder Völkern denken, wird es immer Nationalismus geben. Und solange in unserer Szene Bands akzeptiert werden, die sich als schottische, baskische oder wasweissich Nationalisten bezeichnen und das als cool gilt, nur weil es keine solchen Staaten gibt, solange ist jede antinationalistische Kritik von unserer Seite aus zahnlos. Alle Völker sind Arschlöcher. Überall.

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6 Kommentare auf "[antifee] 10 Fragen an… Kurhaus"

  1. blubb sagt:

    super idee, nettes interview… fein gemacht!

  2. Fernseherin sagt:

    sehr schön. da kommt ja richtig was rum!

  3. Read Marx or die! sagt:

    „Solange wir in Nationen oder Völkern denken, wird es immer Nationalismus geben.“
    Unmaterialistisch.

  4. Janni sagt:

    Gutes Interview, gute Band…schade, dass ich das Antifee nicht besuchen kann 🙁

  5. Rakete sagt:

    und jetzt haben sie sich aufgelöst 🙁

  6. John K. Doe sagt:

    das ging ja fix….

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