Linke, SPD und Grüne gewinnen bei Podiumsdiskussion vor Jugendlichen in Göttingen
von am 13. September 2017 veröffentlicht in Diskussion, Gespräche, Politik, Titelstory

Vertreter von SPD, Die Linke, Bündnis 90/Grüne, CDU und FDP stellten sich am vergangenen Sonntag im Saal des Jungen Theaters den Fragen der Veranstalter vom Stadtjugendring Göttingen und dem Stadtradio. Etwa 150 junge Menschen hörten eine weitgehend sachliche und durchaus kontrovers geführte Diskussion zwischen den Göttinger Bundestagskandidaten Fritz Güntzler (CDU), Thomas Oppermann (SPD), Jürgen Trittin (Bündnis 90/Grüne), Konstantin Kuhle (FDP) sowie dem Konrad Kelm vertretenden Sinan Özen (Die Linke).

Während eine per Wahlzettel durchgeführte Publikumsbefragung am Anfang der Veranstaltung eine hohe Zustimmung insbesondere für SPD und Grüne zeigten, belegte eine Befragung am Ende der Debatte Zuwächse vor allem für Sinan Özen von der Linken und Thomas Oppermann von der SPD. CDU und FDP landeten am Ende jeweils auf etwa 10%, Die Linke bei 20%, die Grünen bei 25% und die SPD bei 30%.

Die ModeratorInnen der Veranstaltung, Paul Würzberg vom Stadtjugendring und Jennifer Bullert vom Stadtradio, die nur selten in die Diskussion eingriffen, gaben zu Beginn mit ihrer Frage nach gesellschaftlichen Visionen für das Jahr 2040 den Teilnehmern Gelegenheit für eine breite inhaltliche Verortung. Während es Oppermann gelang den Bogen von internationaler Friedens- und Entwicklungspolitik über Arbeitsmarktpolitik zu staatlichen Investitionen in die Bildung zu spannen, setzte Trittin mit Forderungen nach einer konsequenteren Klima- und Umweltpolitik sowie einer stärkeren politischen Orientierung zur internationalen Verantwortung einen ersten Schwerpunkt. Kuhle setzte sich mit Forderungen nach Auslagerung der Asyl- und Aufnahmelager aus Europa nach Afrika und einer Stärkung der Europäischen Union von den anderen Diskutanten ab. Özen skizzierte hingegen eine linken Sozialpolitik, nutzte die Gelegenheit aber auch für erste Attacken auf die anderen Diskussionsteilnehmer. Er mahnte an, dass die Bundesrepublik angesichts zunehmender Armut durch tiefe soziale Risse gekennzeichnet sei. Eine Verkehrswende, wie sie durch die großen Parteien mit Fokus auf E-Mobilität geplant werde, sei zu kurz gedacht. Eine Verkehrspolitik müsse sozial und ökologisch aufgestellt sein, so Özen.

So entspann sich früh eine Debatte über staatliche Verantwortung für soziale Gerechtigkeit und Infrastruktur. Özens, von Trittin, Oppermann und Güntzler weitgehend geteilte Forderung nach stärkeren staatlichen Investitionen in die digitale Infrastruktur, widersprach Kuhle. Die Privatisierung in der Telekommunikation habe in der Vergangenheit für alle Kund_innen die Preise gesenkt und könne auch in Zukunft die heute bereits rückständige Entwicklung der Infrastruktur beschleunigen.

Kontroverse Positionen zu geschlechtlicher Gleichberechtigung und gesellschaftlicher Teilhabe

Kuhle bezeichnete zudem Özens Forderung nach einer Anhebung und Ausweitung des Mindestlohns für falsch. Auf Özens Verweis auf die steigende Zahl schlecht bezahlter Leih-, Werk- und Saisonarbeiter_innen entgegnete Kuhle, ein Mindestlohn sei unfair, da er die Menschen nicht nach ihrer individuellen Leistung entlohne.

Im zweiten Teil der Debatte baten die ModeratorInnen die Teilnehmer auf dem Podium zu Stellungnahmen zum Thema „Partizipation: Wahl mit 16“. Özen sorgte hier mit zwei Punkten für Unruhe im Publikum und auf der Bühne. Zunächst warf er der Großen Koalition eine verfehlte Rentenpolitik vor, die insbesondere diejenigen beträfe, die heute jung und von den Wahlen ausgeschlossen seien. Ihr politisches Engagement müsse daher viel stärker gefördert werden. Zudem warf er der SPD vor, sie habe jugendlichen Protest, etwa gegen TTIP und gegen den G20-Gipfel diffamiert – ein Vorwurf der von Trittin und Oppermann zurückgeweisen wurde. Trittin hingegen sorgte mit seinem Hinweis auf das Fortbestehen eklatanter Geschlechterungerechtigkeit für Zustimmung im Publikum. Die fast ausschließlich männliche Besetzung des Podiums sei symptomatisch für die Politik. Er forderte Geschlechterquoten für das Parlament.

Güntzel, Özen, Kuhle, Oppermann und Trittin bemühten sich, Göttinger Jugendlichen zu überzeugen.

Im abschließenden Teil zum Thema „Soziale Gerechtigkeit“ profilierten sich insbesondere Özen, Oppermann und Trittin mit ihren Forderungen. Özens Forderung nach einer Aufwertung von Berufen wie Alten- und Krankenpflege und ErzieherInnen sowie der Stärkung von Kindertagesstätten nahm Oppermann mit dem Slogan „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ auf. Trittin forderte angesichts der Gefahren von Altersarmut eine garantierte Grundrente, die jedem Deutschen, der 30 Jahre dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestanden habe, zustehe. Dabei versprach er, sich für eine solche steuerfinanzierte „Bürgerrente“ im Bundestag einzusetzen. Trittin forderte außerdem ein Ende eines Ehegattensplittings im Steuerrecht, das faktisch vor allem Hausfrauenehen fördere. Kuhle bezweifelte in der Diskussion die Fähigkeit des Staates, Geschlechtergleichheit durchzusetzen, insbesondere in Bezug auf Lohnzahlungen und kritisierte entsprechende Forderungen anderer Parteien als unrealistisch.

Das Ergebnis der Abstimmung stellte nicht alle zufrieden.

Das Publikum, das sich bis zum Schluss ausschließlich mit Applaus und nur vereinzelt mit leisen Unmutsäußerungen in die Debatte einbrachte, nutzte die Öffnung des Podiums zu Fragen und Kommentaren aus dem Saal nur zurückhaltend. Die vom Stadtjugendring durchgeführten Publikumsbefragungen gaben daher am besten Auskunft über die politische Orientierung des Publikums und sorgten durchaus für Überraschung auf dem Podium.


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